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Zippia: Drei Fälle von „Anmeldungen Sterbender". 413
beschreiben. Ich beginne, die chronologische Reihenfolge
beachtend, mit dem Vorfalle, der sich in meinem elften
Lebensjahre (1874) zutrug. Es war ein schöner Sommernachmittag
, — welcher Monat es sein mochte, kann ich nicht
mehr mit Sicherheit sagen, — als ich wie gewöhnlich mit
meiner Grossmutter, bei der ich meine Jugend zubrachte,
beim Fenster sass und strickte. Die Situation im Zimmer,
deren Kenntniss zum besseren Verständniss des Folgenden
nicht ohne Nutzen sein dürfte, war folgende. Wir beide
sassen so, dass wir das ganze Zimmer vor Augen hatten.
V or uns standen in der geringen Entfernung von kaum fünf
Schritten zwei Betten, vor denen, also zwischen uns und
denselben, ein Bettschirm, — ein mit einfacher Leinwand
überzogener hölzerner Rahmen auf eben solchem Gestell,
— stand. In dem ziemlich kleinen Zimmer befand sich
Niemand ausser uns beiden. Die Thüre des Zimmers war
zu. — Als wir so stillschweigend arbeiteten, bemerkte ich
auf ein Mal, wie der besagte Ofenschirm in eine schwankende
Bewegung gerieth und sich auf seinen Füssen pendelmässig
hin und her zu schaukeln begann. Aber zu meinem
Entsetzen sah ich noch in der Leinwand den deutlichen
Abdruck einer menschlichen Hand, so als wenn
Jemand von hinten den Schirm durch festes Andrücken
seiner Hand in die festgespannte Leinwand desselben in
Bewegung gesetzt hätte. Es waren an dem Abdrucke alle
fünf Finger wie auch die ganze Handfläche bis zum Handgelenk
deutlich zu erkennen. Vor Schreck fiel mir die
Arbeit aus der Hand und ich konnte weder ein Wort aussprechen
, noch meinen Blick von dem Ofenschirme abwenden.
Alles, was ich thun konnte, war ein leises Zupfen der
Grossmutter am Arme, um sie auch auf den sonderbaren
Vorfall aufmerksam zu machen. Sie hob die Augen von
ihrer Arbeit weg, gleichfalls auf den Schirm hinblickend, und
als sie des Wunderlichen auch gewahr wurde, begann sie
schleunigst zu beten, was bei ihr als einer schon ziemlich
bejahrten Frau gar nicht zu verwundern war. Der Ofenschirm
bewegte sich eine kurze Zeit lang noch weiter, dann
wurden aber seine Schwankungen allmählich immer kürzer,
um endlich ganz auszubleiben. Als der Schirm wieder stillstand
, verschwand auch der Abdruck der Hand. Nun sagte
die Grossmutter, als auch ihr Gebet zu Ende war: „Gott,
es muss jemand gestorben sein," (was auf einige Erfahrung
ähnlicher Vorfälle ihrerseits schliessen Hess.) Darauf sah sie
nach der Uhr und sagte: „Drei Uhr ist's!" Als wir wieder
in tiefes Stillschweigen und Nachdenken über den Vorfall
verfielen und eine Zeitlang ruhig so dasassen, klopft es
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