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Wilke: Im Eeiche des Okkultismus. 431
Antwort hätte zukommen lassen. Sie log, aber gerade dies
hielt mich in dem Glauben fest, ich hätte mit einer anderen
Person zu thun. Es kam noch hinzu, dass ihre Antworten
oft den entgegengesetzten Inhalt hatten, den ich erwartete,
und dass ausserdem gewisse Buchstaben, welche sie durch
meine Hand schrieb, ausgesprochen nicht meinem Duktus
angehörten. Erst nach einer Woche erkannte ich, wer Hedwig
Lehmann war. Hier die Erklärung:
Bei dem halbstündigen Hinstarren auf die Bleistiftspitze,
während dessen der erwartende Geist nicht mehr fest unter
der Herrschaft des Willens und des Bewusstseins blieb, hatte
ich mich selbst hypnotisirt. Während nun im normalen
Seelenzustand Wille und Bewusstsein fest verbunden sind,
trennen sich in der Hypnose die beiden Genossen und der
Wille treibt sein Spiel, ohne dass das Bewusstsein von dem,
was er unternimmt, rechte Kunde erhält. Aus der in dem
etwas träumenden Bewusstsein gerade vorhandenen Vorstellung
entwickeln sich nun mit Leichtigkeit durch
Assoziation lange Vorstellungsreihen und zwar ausserhalb
des Bewusstseins. Irgend eine dieser Vorstellungen reizt nun
den Willen dazu an, die von dem Bewusstsein frei gewordene
Hand derart zu führen, dass er das entsprechende Wort
auf das Papier schreibt. Dieses Wort oder der Satz kann
sehr wohl zu dem bewusst gestellten und deutlich hingeschriebenen
Satze passen. Denn auf eine Frage liegt uns
eine Antwort nahe, und unsereins als Federmensch hat die
Formulirung wenigstens einfacherer Sätze unbewusst in den
Fingerspitzen. Sobald die Frage gestellt und hingeschrieben
ist, sitzt die blitzartig sich bildende Antwort auch schon in
den Fingern, schon lange bevor unser Fragesatz fertig geschrieben
ist. Nunmehr setzen wir uns in den Empfangszustand
, indem wir unser Bewusstsein oder unsere scharfe
Beobachtung abdämpfen, und der bereits präparirte Finger-
mechanismus schreibt die überraschende Antwort hin. Sobald
wir bei der Niederschrift unsere Aufmerksamkeit wieder
erhöhen, unterbrechen wir die unbewusste Fingerthätigkeit.
Nachdem ich dies einige Male bemerkt hatte, sagte ich mir:
das kommt vom Dazwischendenken, und was geschah beim
nächsten Male, als ich wieder die Niederschrift in dieser
Weise gestört hatte? Die geheimnissvolle Korrespondentin
unterbrach sofort ihren Satz und schrieb: „Sie müssen nicht
dazwischendenken, das stört mich!4' Dass sie mich als einen
Anderen anredete, kann nicht Wunder nehmen; denn ich
hatte ja durch die Vorstellung, es mit einer anderen Person
zu thun zu haben, bereits diese Form der Antwort prä-
parirt.
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