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438 Psychische Studiert. XXIX. Jahrg. ?. Heft. (Juli 1902.)
war durch eine kleine weissglühende elektrische Lampe erleuchtet
, welche sich über einer neben der zum Laboratorium
führenden Thüre stehenden Drehbank befand. Ich nahm
ein Stück Metall, das ich auf der erwähnten Drehbank zu
einem Oylinderhütchen formen wollte, und war so in meine
Arbeit vertieft, dass, als ich auf meine Uhr sah, bereits
zwölf Minuten vergangen waren, seit ich das Laboratorium verlassen
. Ich legte das Oylinderhütchen sofort hin und ging auf
die Thür zu. Es war eine ganz gewöhnliche, weiss lackirte
Holzthüre. Als ich die Klinke aufdrücken wollte, bemerkte
ich dicht vor meinen Augen auf dem weissen Grund den
Schatten eines Armes mit einer Hand, deren
Pinger ausgestreckt waren, wie wenn sie mir den Eintritt
wehren wollten.
Unwillkürlich prallte ich zurück. Zuerst glaubte ich,
es sei jemand unbemerkt von mir in das Zimmer und zwischen
das Licht getreten. Ich wandte den Kopf — aber ich war
allein. Vor dem Licht hing kein Gegenstand — und dennoch
war der Schatten da.
Ich bin ein Mann der Wissenschaft und weiss genau,
wodurch ein Schatten entsteht. Es war nur ein einziges
Licht, die elektrische Lampe, in diesem Raum und ich sagte
mir, dass irgend ein Gegenstand — es musste ja nicht gerade
eine Hand sein — diesen seltsamen Schatten verursachen
müsse.
Aber so sehr ich auch suchte und forschte, ich entdeckte
nichts, absolut nichts zwischen Licht und Thüre, wodurch
der Schatten hätte entstehen können. Und er blieb da.
Ich streckte meine Hand aus, um einen zweiten Schatten
neben dem ersten hervorzubringen. Und erst jetzt, als ich
die beiden Schattenhände dicht nebeneinander sah, bemerkte
ich, dass an der oberen — ein Finger fehlte. Und kaum
hatte ich diese Entdeckung gemacht, da bewegte sich diese
Hand wie in grosser Erregung auf und ab.
Weiter sah ich nichts — denn in demselben Augenblick
kam die Thür auf mich zugestürzt und mit einem lauten
Krach wurde ich an das entgegengesetzte Ende des Zimmers
geschleudert, wo ich betäubt unter der zweiten Drehbank
liegen blieb. Leute eilten herbei und zogen mich hervor,
es dauerte jedoch geraume Zeit, bis ich begriff, dass ich noch
am Leben sei und meine Glieder heil waren. Steif und
zerschunden war ich allerdings, sonst jedoch gänzlich unverletzt
, obgleich die Explosion viel heftiger war als die
frühere; hätte ich in dem Laboratorium neben dem Apparat,
mit dem ich arbeitete, gestanden, — ich wäre auf der Stelle
getötet worden.
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