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Litteraturbericht.
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würdigen Krankheiten veröffentlicht hat. Der Gelehrte war
überrascht und erklärte, bisher nirgends eine gleich merkwürdige
Krankheit beobachtet zu haben.
Ltitteraturbericlit.
Berichterstatter für sämmtliche Litteratur des In- sowie Auslandes ist Ilofrath
Dr. Wernekke in Weimar, an welchen auch alle Rezensionsexemplare einzusenden
sind. Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die in
den Besprechungen ausgesprochenen Ansichten.
A. Bücherbesprechnngen.
Vom Sinn des Lehens* Vier Akte aus dem Leben der Menschen
von Ernst klotz. Verlag von B. Elischer, jetzt 0. Mutze (Leipzig).
68 S. Preis M. 1.50.
„Friedrich Nietzsches Todesstunde war die Geburtsstunde der
letzten Scene dieses Dramas*, so lautet das Motto dieses grandios
angelegten, mit' symbolischem Bilderschmuck reich und gedankenvoll
verzierten Bühnenwerks, das auf dem vom neuen Verleger beigegebenen
Umschlag mit Eecht als „Drama der Menschheit"
bezeichnet ist. „Der Wandervögel wie der Menschheit Schicksal ist
es — so äussert sich über die Tendenz des Stückes der in Leipzig
lebende geistvolle Dichter selbst in seinem angehängten „Wort zur
Klärung* —, unter umsichtiger Führung die schützenden, lebenspendenden
Gestade zu erreichen, oder unter flügellahmer Führung
in den Fluthen unterzugehen. Führer der Menschheit sind die Er-
kenner, besser — die Seher —, keinesfalls die Herrscher oder
Forscher. . . . Der Forscher saugt sich voll am Erdgeist, so auch
unsere „Führer* Nietzsche und Häckel. Der Erstere erblickte das Heil
der Menscheit in der Umwerthung aller Diesseitswerthe, der Andere
predigt: wahr und wirklich ist nur, was ich unterm Mikroskop sich
bewegen oder ala Neubildung entstehen sehe! Die Weisheit Beider
trägt das Kainszeichen der Theilweisheit an der Stirn. Beide halten
sie nur „die Theile in der Hand* und trotz aller Emphase fehlt
leider das „geistige Band* des (von Goethe geforderten) magischen
Zusammensehens. . . Ich freute mich auch der gleissenden Nüsse,
vor allem derer, die Nietzsche uns bot, doch schlug ich mit dem
Hammer, mit dem man philosophirt, darauf, — den Kern zu suchen,
und — hohl schon klang mir oft die Schale, und als sie endlich
zersprang — war sie leer, — so leer! . . . Ich verehre die Person
Nietzsche* und nehme ihn als ehrlichen Warheitssucher; doch im
Vergleich zu Tolstois lapidaren Thaten und dem wachtigen Ernst
seiner Sprache, welche nur im Dienste der die Menschheit versitt-
lichenden Ideen steht, — angesichts dieser zielbewussten, robusten
Ruhe (— der auch der „Lohn" dieser Welt nicht vorenthalten blieb
— die Exkommunikation —) ist Nietzsche keinesfalls die Gesundheit
selbst, wohl aber der zwiespaltige, oft und stark irrlichtelirende
Schwache." — In dem vorbereitenden 1. Akt des mit technischer
Meisterschaft aufgebauten, vielfach an die wirksamsten sozialen
Dramen Gerhart Hauptmann'^ und Björnson'a erinnernden, die aktuellsten
Lebensfragen der Gegenwart zur Diskussion auf der Bühne
bringenden Schauspiels wohnen wir an einem Stammtisch den intimen
Erörterungen des Uebermenschen und Fatalisten von Werner,
des vom Geiste echtertHumanität erfüllten Dr. Sonnemann und des
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