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462 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 8. Heft. (August 1902.)
er hin und her. Ein fanatischer protestantischer Eiferer,
Christian Mayer, gewinnt zuerst Einfluss auf ihn und will
ihn zum Eintritt in einen geheimen Orden bewegen. Damals
(1806) verherrlichte er Luther in „die Weihe der Kraft",
in welchem Meisterstücke Werner 's er Luther und Elisabeth
zwei Schutzgeister beigiebt. 1811 tritt er in Rom zur
katholischen Kirche über, lässt sich 1813 zum Priester
weihen und hält zu Wien während des Kongresses
originelle Predigten ä la Abraham a Santa Clara. Seine
Mutter war im Wahnsinn gestorben, und auch er „trieb"
wie Heine witzig und richtig bemerkt, „das Ding so weit,
wie man es nur treiben konnte, ohne von Obrigkeitswegen
in ein Narrenhaus eingesperrt zu werden." Dabei ist
er aber ein genialer Dichter und sein „24. Februar", der
voll mystischer Vorzeichen ist, wurde das Musterbild alier
kommenden Schicksalstragödien; er hatte das Stück entworfen
, als ihm ein Tag (eben ein 24. Februar) Mutter,
Frau und Freund entrissen hatte. (Nebenbei: Werner hatte
drei Frauen.) In den meisten seiner Stücke spielen mystische
Vorgänge und Geister eine wichtige Kolle; so im „Kreuz
an der Ostsee", worin der heilige Adalbert, nach seinem
Tode als Spielmann herum wandert. „Die Werner'schm
Geister sind um ihrer selbst willen da, legendenartige
Figuren, welche ihren eigenen Vergänglichkeiten nachgehen.
Sie tauchen aus einem mystischen Urgründe auf, der wie
eine zweite dunkle Welt hinter dieser ersten steht und sein
Geheimniss nur in banger Ahnung den Gemüthern er-
schliesst."*) Herrlich ist in „Attila" (1808) die Szene zwischen
Papst Leo und jenem vor der ewigen Stadt, wobei nach der
inspirirten Rede Leo's Attila eine grossartige Vision hat,
deren Wiedergabe aber hier zu lange wäre.
Julian Schmidt sagt: „In Attila schildert Werner einen von
der Idee der Gerechtigkeit durchdrungenen Idealisten, der
die Mission zu haben glaubt, das Unrecht aus der Weit zu
vertilgen und zu diesem Zwecke unerhörte Gräuel verübt. Bei
dem Entwürfe hat ihm Napoleon I. vorgeschwebt, dessen welthistorische
Mission den Grüblern viel zu schaffen machte."**)
„Es giebt," wie Frau v. Stael geistvoll bemerkt „in
Werner1® Stücken Schatten von eigentümlichen Wesen, welche
gleichsam noch kein irdisches Dasein geführt haben und
auch kein Verlangen danach haben." Selbstverständlich
*) Dieses und die anderen Citate von Rudolf v. ilottschall sind
dessen grossem Werke: „Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrhunderts
" (4 Bde., 1881) entlehnt.
**) Julian Schmidt: „Geschichte der deutschen Litteratur von
Leibmtz bis auf unsere Zeit", IV, 415 f£.
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