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480 Psyohisohe Studien. XXIX. Jahrg. 8. Heft. (August 1902.)
müssen sterben, wie das Sprichwort, den Unterschied kurz
und treffend zusammenfassend, sagt. Langsam, fast unmerklichvollzieht
sich, nachdem der Höhepunkt des Lebens
überschritten, die ungewollte, aber nicht zu hemmende
Ehescheidung zwischen den bis dahin aufs Innigste verbunden
gewesenen Seele und Leib. Sie scheiden von einander
, ihr Bund zerfällt, indem sie selbst zerfallen. Oder
— zerfällt nur der eine Theil ? Bleibt der andere erhalten,
indem er zugleich das individuelle Selbstbewusstsein fortleitet
? Das ist der Punkt, wo das Fragezeichen des Verhängnisses
sich erhebt. Geräuschlos gleitet, während unserer
ganzen Lebenszeit, das Geheimniss neben uns her, aber
es enthüllt sich dem Lebenden nicht.
Da sich die Sache nicht ausmachen lässt, aber aufs
Engste mit den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen
zusammenhängt, so spinnt sie sich unerledigt durch die
Jahrhunderte, ja Jahrtausende fort. Dabei handelt es sich
nicht sowohl um das Ob oder Obnicht — Sein oder Nichtsein
—, als um das Wie des Ob, um das Labyrinth von Möglichkeiten
in Bezug auf das, was dem als fortdauernd
supponirten Geistwesen als Schicksal im „Jenseits" zugedacht
sein könnte.
Objective Anhaltspunkte, die als solche wirklich gelten
konnten, hat des Menschen Geist für diese Möglichkeiten
niemals ausfindig zu machen vermocht. So hat er sie denn
nach subjectiven Schätzungen und Vermuthungen, denen
sich seine Wünsche und Bedürfnisse hinzugesellten, entworfen
und sie bald als religiöse Vorstellungen, d. h. als
geglaubte Wahrheiten, bald als Speculationen, d.h. als Denkergebnisse
formulirt. Auf solchen subjectiven Schätzungen
beruhte es, wenn das Alterthum, ausgehend von der Freude
am sinnlichen Dasein, den abgeschiedenen Geistern nur
ein freudloses Schattenleben zuerkannte. So ist es im
Hades, — in der Odyssee erscheint die Unterweit melancholisch
, blass und farblos, „den Göttern ein Grauen a —;
aber auch mit dem altgermanischen Nifflheim ist es nicht
viel besser bestellt. Das ist — nahm man an — das allgemeine
Loos der Sterblichen. Ausnahmen sind selten,
Von allen trojanischen Helden kommt nur Menelaus als
herausgegeben, philosophische und historische Betrachtungen,
Jugenderinnerungen (an 1848) und Gedanken über das Alter, wie sie
dem greisen Denker in seinen „Dämmerstunden" kommen, beim
Kückblick auf die durchlaufenen „Lebensstiifen" und im Hinblick
auf die „Todesnähe". Für diesen letzten, hier mitgetheilten A ufsatz
glauben wir gerade bei unseren Lehern besondere Theilnahme erwarten
zu dürfen. W.
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