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482 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 8. Heft. (August 1902.)
Wirkung doch nur dann ausüben könnte, wenn sie dies
thäte. Nur als Vergeltung für begangenes üeble lässt sie
sieh auffassen, natürlich nur unter der Voraussetzung, dass
dem Menschen die Verantwortlichkeit für sein Thun und
Lassen zugeschrieben wird. Indem dies dann das gestaltende
Princip der dem Menschen zufallenden Wiedergeburt
wird, ist die Vergeltung fertig. Und in diesem
Sinne vertritt das Karma im Buddhismus nicht bloss die
Folgerichtigkeit, sondern auch die Gerechtigkeit. Indessen
gewährt auch die Annahme einer Seelen Wanderung keinen
weiteren Aufschluss über die Zustand sbesehaffenheit jenseits
der neuen Incarnation. Der modernen Theosophie zufolge
können dem Geistwesen je nach seiner sittlichen Beschaffen-
heit Zustände verschiedenster Art: vollwachende ßewusst-
heit, chaotischer Traumzustand oder auch traumloser Schlaf
beschieden sein.
Die Unmöglichkeit hierüber mehr als sehr hypothetische
Vermuthungen aufstellen zu können, die eben ihres hypothetischen
Charakters wegen eigentlich werthlos sind, hat
Herder in die Worte zusammengefasst, dass „thöricht verloren
jeder Gedanke wäre, der die Geburt der Seelen in
eine andere Welt auch nur traumweise beschreiben wollte.
In's eigentliche Dispensatorium des Lebens zu dringen, sei
keinem Sterblichen gelungen und werde ihm auch nie gelingen
. Die physische Welt, die unseren Zustand nach
dem Tode ausmache oder bereite, übersteige unsere Fassungskraft
." Trotzdem hat er das ganze Thema vielfach glossirt
und in seinen Aufsätzen über Palingenesie, das Land der
Seelen und vom Wissen und Nichtwissen der Zukunft
(1795) bald von der einen, bald von der anderen Seite beleuchtet
. Und ähnlich wird sich der Verlauf wohl auch
in Zukunft gestalten. Um so mehr als seit den letzten
Jahrzehnten die ganze Phänomenenwelt des Okkultismus
aufgetaucht ist, welche die Existenzfrage rein geistiger
Principien in der mannigfachsten Weise berührt, ohne sie
zu erhellen. Eben weil sie dies letztere nicht thut, giebt
sie Anlass zu Combinationen über Combinationen, zu Vermuthungen
über Vei muthungen, die ihr zweifelhaftes Lieht
natürlich auch auf das Fortleben des Menschen nach dessen
irdischem Scheiden werfen. Das Labyrinth wird immer
grösser, der Ariadnefaden, der hindurch führen sollte, immer
unsichtbarer.
Den Okkultismus als Aberglaube und nichts weiter
abzuthun ist doch allmälig wohl geschmacklos, um nicht
zu sagen abgeschmackt geworden. Ohnehin liegt es in der
Natur der Sache, dass der Begriff des Aberglaubens ein
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