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Kurse Notizen.
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Zauberformel; darauf nimmt er die Kupfersapeken und wirft
sie nacheinander auf den Tisch: ihre Lage, Kopf oder Schrift
(„am" oder „duong") bestimmt die Wahrsagung. Man zahlt
je nach der Wichtigkeit der Frage: eine einfache .Frage
kostet drei Tien (etwa 20 Pfennige); aber für genauere,
umfangreichere Antworten zahlt man 60 Pfennige und mehr.
Man kann aber die Zukunft auch befragen, indem man in
den Tempeln die wahrsagenden Klötzchen und Stäbchen
fragt. Die Klötzchen sind zwei lackirte Holzstücke; man
wirft sie zu gleicher Zeit auf den Boden, indem man die
Frage formulirt, die man beantwortet haben möchte; wenn
sie beide auf dieselbe Seite fallen, ist die Antwort verneinend;
bejahend ist sie, wenn die beiden Holzstücke nach verschiedenen
Richtungen hin fallen. Die Stäbchen (Qu6) sind dünne
Holzstäbe von ungefähr 30 cm Länge, die als Inschriften
chinesische Zahlen und Buchstaben aufweisen; etwa dreissig
solcher Stäbchen werden in ein vasenförmiges Bambusröhrchen
gelegt. Die Person, die das Orakel befragen will, bringt
zuerst eine Opfergabe dar, kniet nieder und spricht ein
Gebet; dann nimmt sie das ßambusgefäss und schüttelt es
von vorn nach hinten, bis eines von den Stäbchen sich von
dem Bündel löst, aus dem Röhrchen springt und auf die
Erde fällt; die Zahl, die auf diesem Stäbchen zu lesen ist,
giebt die Antwort des Orakels an.
t) Die Wanderungen der Seele im rumänischen
Volksglauben. In der ungarischen ethnographischen
Gesellschaft schilderte dieser Tage Dr. Joseph Siegescu, der
„Köln. Ztg." zufolge, einen rumänischen Volksbrauch, der
bisher ziemlich unbekannt war. In den von Rumänen bewohnten
Gegenden Ungarns pflegen alle Todten unter grossen
Ceremonien beweint zu werden. Es giebt berufsmässige
Klageweiber (entsprechend dem altrömischen Brauch der
„mulieres praeficae*' — Red.), die für etwas Speise und
Trank und etwas Geld die Rolle übernehmen, am Sarge unter
verzweifelten Geberden die nöthigen Klagelieder zu singen.
Der Text dieser Klagelieder behandelt die Wanderungen,
welche die Seele durchmachen muss, wenn sie den irdischen
Körper verlassen hat, um eine andere, bessere Heimath aufzusuchen
. Sie findet auf ihrem Wege zunächst ein uferloses
Meer, das die irdische Welt von der himmlischen trennt.
Um über das Meer zu kommen, benutzt die Seele den
schlanken Stamm einer Tanne; der Stamm sträubt sich aber
gewöhnlich, die Seele hinüberzuführen, denn die Tanne ist
der Baum des Teufels, und dieser will es verhindern, dass
die Seele in den Himmel gelange. Endlich lässt sich die
Tanne überreden, die Seele aufzunehmen, denn mit dem
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