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522 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 9. Heft. (September 1902.)
der freien Schweiz seine Heimath gefunden, war seiner
Lebtage ein ebenso freisinniger, als echt religiöser Mann.
Schon als „doctor legens" an der (damaligen) Universität
Prankfurt a. O. protestirte er gegen Press- und Gewissenszwang
und gegen das famose Wöllner^sche Religionsedikt.
Er Hess sich in der Schweiz dauernd (ab 1796) nieder und
leistete diesem Lande in der jNapoteon'sohen Kriegsepoche
die grössten Dienste, wofür er mit Ehrenstellen aller Art
überhäuft wurde (f 27. Juni 1848). Als Herausgeber des
„Aufrichtigen Schweizerboten", der in a'len Kieisen der
Schweizer Bevölkerung die grösste Verbreitung fand, hatte
er ein echtes, liberalen Humanismus verbreitendes Volksblatt
geschaffen, und er ist auch (nebst Berthold Auerbach)
der Neubegründer des volksthümlichen Komans und der
Dorfgeschichte geworden. Vielen, ja den meisten seiner
Dichtungen haftet zwar etwas Moralisch-Lehrhaftes an; aber
trotz dieses manchmal philiströsen Zuges ist er, der überzeugte
Republikaner, ein abgesagter Feind aller Reaktion
und Orthodoxie.*) Schon als Knabe hatte Zschokke dem
Rektor Elias Kaspar Reichard, dem Herausgeber von „Vermischte
Beiträge zu einer näheren Einsicht in das ge-
sammte G-eisterreich" **) (1781, 2 Bde.), als Gehilfe dienen
*) In der damaligen traurigen Reaktionszeit galt' Zschokke"'s Freisinnigkeit
als schweres Verbrechen und er wurde deshalb bitter
angefeindet, ja in anonymen Briefen mit dem Tode bedroht. Ludwig
Balier, der berüchtigte Begründer der staatswissenschaf tli eben
Restauration, nannte ihn geradezu „einen Landstreicher, yerlauf enen
Preussen, voller Revolutionsfanatismus". Zschokke galt derartig
für einen revolutionssüchtigen Aufklärer, dass z. B. der Vater eines
jungen Spaniers, der seinen Sohn 5 Jahre lang bei Zschokke hatte
unterrichten lassen, dies mehrere Wochen in den Gefängnissen der
Inquisition zu Valencia abbüssen hatte müssen, als Strafe dafür,
dass er diesen einem so berüchtigten Ketzer anvertraut gehabt
habe. Ja, der Oberst Veitel wurde unter König Ferdinand VII. zu
10 Jahren und 1 Tag Galeeren verurtheilt, da er „der Vertraute
üeinnch Zschokke\ mit diesem und andern Revolutionären in der
Schweiz in gefährlichem Verkehr" gestanden habe. Auf den „Ehrenmann
" Ferdinand V1L werden wir in Theil 0 und D noch näher
zu sprechen kommen.
**) Uns selbst ist das Werk Reichard9s leider nicht bekannt.
Es ist unzweifelhaft dasselbe, das Kiesewetter unter dem oben an-
fegebenen Titel in seinem Faustbuche p. 146, 149 Fussnote u. p.
33 citirt: Zschokke, der keinen Titel angiebt, erzählt, Reichard habe
damals in Folianten vertieft an einer „Fortsetzung von Hanber>&
bibliotheca magica zur Tilgung des Aberglaubens" gearbeitet und
wirklich findet sich bei Roskoff: „Geschichte des Teufels" (II, 522)
der vollständige Titel von Reichard9$ Werk, der lautet: „Vermischte
Beiträge zur Beförderung eioer neueren Einsicht in das
gesammte Gei3terreich, zur Verminderung und Tilgung des Un-
flaubens und Aberglaubens, als Fortsetzung von D. David Eberhard
tauberes magischen Bibliotnek".
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