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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen ete. 529
sollen erst Alle satt werden und fest wohnen, ehe Einer
seine Wohnung verziert, erst Alle bequem und warm gekleidet
sein, ehe Einer sich prächtig kleidet. Es ist Unrecht
, dass Einer das Entbehrliche bezahlen kann, indess,
dass irgend Einer seiner Mitbürger das Nothdtirftige nicht
vorhanden findet, oder nicht bezahlen kann, und das, womit
der Erstere bezahlt, ist gar nicht von Rechtswegen
das Seinige."*) Wie er im „Geschlossenen Handelsstaate
" ausführt, handelt es sich um den Wohlstand der
Gesammtheit, nicht einzelner Individuen. Nicht wie
ein Lastthier, das unter seiner Bürde in Schlaf sinkt,
nein: „Angstlos mit Freudigkeit soll der Mensch arbeiten
und Zeit übrig behalten, seinen Geist und sein Auge zum
Himmel zu erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist."
Fichte fordert also hier die Beschränkung der Arbeitszeit
. Nach ihm ist vor Allem die Bestimmung des
Staates die: Jedem erst ein Eigenthum zu schaffen, ehe
er es schützen kann. Auf Jeden kommt das „Seinige"
und zu diesem muss allmählich Jedem geholfen werden.
Der erste Zweck des wirthschaftlichen Thuens ist die
Möglichkeit und Annehmlichkeit des Lebens. So
hell Fichte's Rechtsstaat auch glänzt, sein eigenartiger
Sozialismus, welcher allerdings in einen utopistischen
Polizeistaat einmündet, ist von höchstem Humanismus
durchtränkt und eröffnet doch dabei die dunkle Aussicht
in das Ewige: so gewiss es einen Gang zum Bessern giebt,
den wir gehen müssen, so gewiss wurzelt unser höheres
Leben in einer gemeinsamen Geisteswelt.**)
(Fortsetzung folgt.)
*) J. Q. Fichte: „Angewandtes Naturrecht" (1797) p. 30—82. (Siehe
IL Band von Fichte's: „Nachgelassenen Werten", edirt von J. ü.
von Fichte 1834).
**) Hier gleich wollen wir vorwegnehmen, was über Fichte9»
Sohn: lmanuet Hermann von Fichte, zu sagen ist, obwohl dies
eigentlich erst in den Theil E. gehören würde. Der jüngere Fichte
(1797—1879) interessirt uns Okkultisten ja ganz besonders durch
seine rege Sympathie, welche er seiner Zeit dem Heraufkommen
des modernen Spiritismus zuwandte. Einzelne okkulte Phänomene
hatte er schon vorher als Hauptstütze seiner „Anthropologie"
(§ 116—189) und seiner Psychologie (1, V—XXX) verwendet und
der Seele einen Aetherleib beigelegt; der Leib ist ihm das Erzeugnis*
der präexistenten Seele. In der Schrift „Der jetzige Spiritualismus"
(1878) trat er offen für Zollner ein. Fichte ist theistischer Individualist
. („Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen
Fortdauer" und „Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des
Menschen"). Er weist die Thatsache eines Ueberempirischen im
Empirischen nach, einer höheren Individualität im Menschen, die
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