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538 Psychische Studien. XXIX. Jahrg, 9. Heft (September 1902.)
und mitunter sehr gemischter Gesellschaft als Schaustück
zu paradiren, anderntheils habe ich die Erfahrung gewonnen
, dass materialisirte Geistwesen sich als höchst
suggestionszugänglich erweisen und ähnlich einem hypnoti-
sirten Sujet das zu sein vermeinen, was die Kontroigeister
der Medien aus ihnen zu machen die Absicht hegen, was
wiederum dem Wunsche resp. Vortheil Derjenigen entspricht,
in deren Diensten sie stehen.
So glaube ich z. B., dass die verstorbene „Gattin"
eines der Sitzungsteilnehmer resp. deren Ego beeinflusst
werden kann, als „Homo" zu wähnen, sie sei die „Braut"
eines Anderen. —
Zuverlässlicher gestaltet sich der Verkehr mit Abgeschiedenen
in der Phase des intellektuellen Trancezustandes
ohne Beigabe der Materialisationsphänomene, ganz besonders
wenn das betreffende Medium keinen Broderwerb
aus der Begabung macht und demzufolge der Kontrolspirit
unbeeinflusst als Vermittler das wiedergiebt, was er von
dem sich kundgebenden Geistwesen empfängt.
Freilich drängen sich auch durch solche Medien, gleich
einer offenen Thüre, oft unwillkommene Gäste mit ein. So
kamen erst kürzlich die im Hause eines mir befreundeten
Journalisten abgehaltenen spiritistischen Versammlungen zu
einem unliebsamen Abschluss, als eine an denselben theil-
nehmende höchst sittsame, gleichzeitig den besten Kreisen
an gehörige junge Dame von einer im Delirium aus diesem
Dasein geschiedenen Strassendirne besessen resp. kontrolirt
wurde und durch ihr lärmendes profanes Gebahren, ihr
markerschütterndes Geschrei einen Auflauf auf der Strasse
verursachte, der nahezu eine polizeiliche Intervention zur
Folge hatte.
Die mitunter aufgestellte Behauptung, dass der Spiritismus
zum Irrsinn führt, ist unrichtig; dagegen sind viele
der in Irrenhäusern internirten Personen auf Grund ihrer
medialen Veranlagung als unter dem Einflüsse exkarnirter
Wesen zu betrachten und sollte ihnen als Besessenen,
nicht als Irrsinnigen, eine dementsprechende sachkundige
Behandlung zu Theil werden.--
Um auf die speziellen Sitzungen zurückzukommen, so
versuchten wir im Verlaufe einer solchen Paraffinabgüsse
zu erlangen. Zu diesem ßehufe stellten wir ein mit dieser
geschmolzenen Masse gefülltes Blechgeschirr auf den im
Sitzungszimmer befindlichen Tisch und daneben ein solches
mit kaltem Wasser. Ein materialisirtes Wesen, das sich
bei jeder Seance kundgab und von meinem Freund C. als
dessen verstorbene Gattin identifizirt wurde, tauchte vor
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