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572 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 9. Heft. (September 1902.)
niemals. (Die Redaktion der Hamb. Nachr.tt, 1. Beil. zu
Nr. 184 vom 7. August er., der wir diesen Bericht entnehmen
, kann nicht umhin, den letzten Satz mit einem
triumphirenden „Aha!" zu begleiten. — Red.)
Der Dichter — ein Schöpfer (poietes) oder
ein Finder (trobador)?
Von den autobiographischen Skizzen, die „Das litterarische
Echo" (Berlin, Verlag von F. Fontane & Co. — IV. Jahr)
unter der Gesamintübersehrift „Im Spiegel41 bringt, worin
Schriftsteller der Gegenwart ihr Werden und Schafifen schildern
, ist eine der neuesten (im Maihefte) von Isolde Kurz,
der jetzt in Morenz lebenden Tochter des f Tübinger Bibliothekars
Hermann Kurz. Ihre Novellen und Märchen behandeln
, dem wechselnden Schauplatze ihres Lebens entsprechend,
theih deutsche, theils italienische Stoffe. Ihre Productionslust
regte sich erstaunlich früh. „Zwischen dem 10. und 12. Jahre
unterhielt ich eine sehr rege Fabrik von Dramen," erzählt
sie im leichten Plaudertone. Später wandte sie sich der
lyrischen Muse zu, bis ihre Lust zum Fabuliren sich für
die Form der prosaischen Erzählung entschied. Interessant
ist folgende Aeusserung aus dem nur erwähnten Aufsatze
(S. 1018). „Es sei mir gestattet, einer Erfahrung zu gedenken
, die vielleicht auch schon andere gemacht haben,
die aber meines Wissens noch niemals ausgesprochen
worden ist. In Zeiten gesteigerter Productivität begegnet
es mir häufig, dass mich neben den brauchbaren und erwünschten
Eingebungen lyrische Strophen umflattern, die
mir zunächst ganz unverständlich sind. Sie deuten auf
einen Zusammenhang, von dem ich nichts weiss; wenn ich
ihnen nachgehe, gerathe ich ins Leere. Ich finde nichts
weiter als einen Rhythmus, der eine besondere Stimmung
andeutet, und ein paar sinn- und zusammenhangslose Verszeilen
. Diese reizen und necken mich, bis ich sie in den
hintersten Winkel meines Gedächtnisses verbannt habe.
Von dort kommen sie erst Jahre später wieder heraus, als
die natürlichen Glieder eines Ganzen, von dem ich damals
noch nichts ahnen konnte, weil es einer völlig neuen Anregung
, einem innern oder äussern Erlebniss, dass ich
unterdessen gemacht habe, seine Entstehung verdankt. Sie
sind alsdann mit diesem Ganzen so nothwendig und organisch
verbunden, dass mir ihre frühere Einzelexistenz
erst recht unbegreiflich erscheint. Dies ist also ein
poetisches „zweites Gesicht/1 das eine noch ungeborene
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