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Kurse Notizen.
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7. August 02 datirte Schreiben lautet: „Im Ansehluss an
die beiliegende Geschichte fällt mir ein eigenes Jugend-
erlebniss ein, das dem Ihrigen ganz genau analog ist, und
Sie deshalb vielleicht interessiri Es steht Ihnen auch zur
Publikation gern zur Verfügung: Als etwa 11 jähriger Junge
liebte ich im Gegensatz zu meinen Eltern nicht, in Hausschuhen
meine Abend- und Morgentoilette zu vollziehen,
sondern zog Barfüssigkeit vor, und „verlor" meine Hausschuhe,
was lange Zeit unbemerkt blieb, endlich aber von meinem
Vater entdeckt wurde. Er befahl mir, die „Verlorenen"
wieder herbeizuschaffen, doch hatte ich in der Zwischenzeit
das Unterkommen der Schuhe vollkommen vergessen und
konnte sie trotz ehrlichen Suchens nicht auftreiben.
Endlich wurde mein Vater ungeduldig und kündigte mir
eines Tages für den folgenden Morgen eine Exekution an,
falls ich die Vermissten nicht gefunden hätte. In dieser
kritischen Nacht träumte ich sehr aufgeregt, dass sich die
Schuhe hinter dem Ofen befänden, und am nächsten Morgen
fand ich sie wirklich dort, was mir lange grossen Eindruck
gemacht hat." — Auch hier bedurfte es zur Wiederbelebung
des im Unbewussten ruhenden Erinnerungsbilds nur eines
leichten Hebels (woraus im Falle meiner Tochter der leidige
Druckfehlerteufel in den genannten u. a. Zeitungen einen
leichten „Nebel" gemacht hat!), der durch die von der Angst
diktirte erneute Beschäftigung mit der Frage, wo die Schuhe
etwa stecken könnten, geliefert wurde. — Für Mittheilung
derartiger,, psychologisch interessanter Erlebnisse sind wir
unseren verehrten Lesern stets zu ganz besonderem Danke
verpflichtet.
Tübingen, 12. August 1902. Dr. Fr. Maier.
d) Professor DÖderlein gegen die Sckenlische
Theorie. Bezüglich der im vorigen Heft S. 517 von Herrn
JVienhold besprochenen Schrift von Dr. med. Bergmann über
„Die willkürliche Zeugung von Knaben oder Mädchen"
scheint uns die Lösung dieses neuerdings so lebhaft erörterten
Problems auf hypnotisch-suggestivem Wege in den Kreisen
der Fachmänner doch gerechtfertigten Bedenken zu begegnen.
Das August-Heft der „Deutschen ßevue" bringt eine Abhandlung
des Tübinger Gynäkologen Prof. Dr. Albert DÖderlein,
in der dieser unter Beibringung eines interessanten wissenschaftlichen
und statistischen Materials die Unhaltbar keit der
vielbesprochenen Theorie des "Wiener Embryologen Schenk*)
*) Der durch seine Geschlechtsbestimmungstheorie in weitesten
Kreisen bekannt gewordene frühere Wiener TJniv.-Prof. Leopold Schenk
ist inzwischen in der Nacht vom 17./18. August er. m Öchwanberg
in Steiermark, 62 Jahre alt, gestorben. — ßed.
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