http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0609
598 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1902.)
Thore zugefahren. Dies Mal eilte der Freund zum Thore,
sah den Mistwagen, hielt ihn an und man fand die Leiche.*)
Die erste Erscheinung lässt sich in die Reihe derjenigen
Fälle eingliedern, wo in Lebensgefahr schwebende Personen
ihnen Nahestehenden, auf die sich ihre Gedanken im betreffenden
Augenblick konzentriren, erscheinen. Die zweite
Erscheinung — des bereits Ermordeten — aber erzeugt
eben jenes Schwanken zwischen der Erklärung durch Fernsehen
und durch Inspiration. „Den zwischen Freunden
bestehenden sympathischen Rapport — sagt du Prel - kann
aber die Inspirationsmethode mindestens mit dem gleichen
Rechte für die Erklärung verwerthen, als die Theorie des
Fernsehens." Wir sehen aber, dass der dramatischen
Spaltung des Ich keine kleine Rolle zuertheilt werden
darf, wenn es sich darum handelt, die Frage, ob die
animistische oder die spiritistische Deutung den Vorzug verdient
, zu entscheiden.
Aber nicht allein das im Traum entstehende Ferngesicht
wird häufig die Lösung bringen; wir müssen auch das spontan
auftretende Fernsehen in wachem Zustand in Betracht ziehen.
Denn auch im Wachen muss es möglich sein, dass trans-
scendentale Reize über die bewegliche Empfindungsschwelle
hinweg ins ßewusstsein gelangen. Das Fernsehen lässt sich
nun zweifellos auch auf den von L. Bernhard im 8. Heft der
„Psych. Stud.a (S. 466 ff.) besprochenen Fall übersinnlicher
Lebensrettung anwenden. Sowohl das spontan auftretende,
als auch das im Traume ausgelöste Fernsehen können zur
Erklärung herangezogen werden. Die im Traum**) gegebene
Warnung kann, kurz vor dem Ereigniss die trennende
Empfindungsschwelle überschreitend, und da alle Sinne
erregt werden können, zur Gehörshalluzination geworden sein.
Die Thatsächlichkeit der Inspirationen von Seiten Verstorbener
wird durch die animistische Lösung keineswegs
in Frage gestellt; spiritistische Probleme müssen sich eben
*) Auch über diese, sowohl von Cicero (de divinatione I, 27),
als von Valerius Maximus ausführlich berichtete Begebenheit, sowie
über andere uns aus dem klassischen Alterthum überlieferte, ebenso
merkwürdige, als hinsichtlich ihrer Bestätigung gut beglaubigte
Wahrträume findet man nähere Nachweise bei Vesme 1. c, besonders
S. 250 ff., 309 (Traum der Calpuruia von Caesar'» Ermordung), 355 ff.
(„ Cicero und die Träume4 ). — Red.
**) Verf. scheint demnach anzunehmen, dass jener Herr B. trotz
seiner ausdrücklichen Versicherung, mit Rücksicht auf die ihm
drohende Gefahr Augen und Ohren mit äusserster Anstrengung offen
fehalten zu haben, momentan in Folge der Gewitterschwüle unwill-
ürlich und unbewusster Weise eingenickt war und die warnenden
Worte im Traum gehört hatte, was ja an sich sehr wohl möglich
wäre. —- II ed.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0609