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Reich: Persönlichkeit und Ewigkeit.
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andern überein käme; es giebt keinen Zeitpunkt, dessen
Inhalt mit dem Inhalt der andern Zeitpunkte identisch
wäre. Dies weist hin auf Unmöglichkeit des Automatenthums
im Bereiche der psychischen Welt und auf Notwendigkeit
eines mehr oder minder grossen Maasses freier
Selbstbestimmung, und ist unerlässliche Voraussetzung überhaupt
des Daseins der Persönlichkeit.
Ungleichheiten spitzen zu Gegensätzen sich zu, Gegensätze
machen Bedingung aus von Anziehung und Ab-
stossung, von Auswahl überhaupt, geschlechtlicher Auswahl
insbesondere, und bewirken so den Gang der Weltenuhr.
Gleichheit der Wesen wäre Automatenthum, schlösse
Gegensätze und das Spiel derselben aus, und liesse keinen
Weltprozess zu, damit auch keine Entwickelung, keine
Vervollkommnung. Demnach musste Gottes grosser Weltenplan
unbedingt der Gleichheit auch nur zweier Wesen vorbeugen
und die Constellationen so fügen, dass jederzeit
und überall Polarität eintrat und dadurch die Phasen der
Entwickelung bewerkstelligt wurden.
Man spricht oft aus, es sei Alles schon da gewesen
und es gäbe nichts Neues unter der Sonne. Aehnliches
wiederholt sich in einem fort, Gleiches niemals, und jede
Constellation tritt nur einmal ein und wiederholt sich in
dieser Besonderheit nimmer mehr in Ewigkeit. Wäre dem
anders, könnte keine einzige Aufgabe in den Universen
vollbracht werden, kein Portschritt gemacht, kein Ziel
erreicht werden. Verschiedenheit der Constellationen ist
der Urquell alles Lebens und, auf gewissen höheren Stufen
desselben, Bedingung der Oivilisation.
Zu geschlechtlichen Gegensätzen mussten die natürlichen
Ungleichheiten sich ausgestalten, wenn nicht allein
Vermehrung von Individuen, sondern auch kennzeichnende
Entwickelung der Persönlichkeit gesichert sein sollte. Wir
wissen, was Persönlichkeit im Welten Vorgang bedeutet, und
es ist uns keinen Augenblick unklar, dass harmonische und
gesundheitsgemässe Ausprägung der Einzelwesen nothwendig
sei zu Gestaltung fester, dauernder, moralisch werthender
Gruppen und Rassen. Je besser also der geschlechtliche
Gegensatz ausgebildet und je vollkommener, normaler die
ganze Lebensführung, desto kräftiger die Keime der zukünftigen
Generationen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit
von Erkrankung und Entartung. Und kräftige Keime
werden, unter halbwegs günstigen äussern und innern Verhältnissen
, zu scharf umschriebenen Persönlichkeiten sich
entwickeln. Auf solchen ruht der Bau der Gesellschaft,
der Fortschritt der Gesittung, die Förderung der höchsten
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