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626 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1902.)
Jede Seele ohne Ausnahme ist, je nach Kategorie
und Umständen unbewusst oder bewusst, philosophisch und
religiös. Und sie muss beides sein, um durch ihren Vollstrecker
: den magischen und plastischen Willen, moralisch
handelnd und Organismus bildend fortschieitend sich zu
entwickeln; sie muss fürwahrhalten oder glauben, um
philosophisch und religiös sein zu können. Damit allein
ist die Gesammtheit der Kosmen, das Sein der moralischen
und physischen Weltordnung, wie endlich Gottes grosser
Weltenplan, wenn auch nicht zu begreifen, doch zu ahnen.
§21.
Es ist sehr zu bedauern, dass es dem kaukasischen
Menschen des Erdballs nicht möglich wird, Wesen höheren
Schlages in materiellem Leibe, wie solche unter günstigeren
Verhältnissen auf andern Himmelskörpern leben, zum
Gegenstand eingehenden Studiums zu machen, andererseits
jedoch auch Wesen einfachster Art auf minder bevorzugten
Planeten zu beobachten und zu verstehen. Wären solche
Studien möglich, so kämen die Normen der Entwickelung
der individuellen Persönlichkeit noch viel deutlicher zu Er-
kenntniss und in Folge dessen viele heutzutage noch sehr
dunkle Stellen zu Beleuchtung.
Im Ameisenhaufen der Menschheit glauben während
jeder Zeitperiode fast alle grossen und kleinen Schreier,
Wichtigthuer und Stelzengeher, es könne nichts Höheres
und Vollkommneres geben, als ihre Person und ihre Zeit;
Portschritt darüber hinaus sei ganz unmöglich, und ihre
hasenherzige liliputanische Weltanschauung, unbeschreiblich
erbärmlich in den Augen jedes Erleuchteten, sei die wahre
Panacee, der Menschheit Rettung. Nun wäre blos zu
wünschen, dass solche unerleuchtete Grossisten Wesen betrachteten
, denen gegenüber sie das bedeuteten, was Mücken
in ihren Augen bedeuten, und weiter von elementaren
Wesen und deren Seelenarbeit richtige Vorstellungen erhielten
. Da sollte man sehen, wie alle falschen - Ismen,
mit welchen man sich selbst und die grosse Heerde der
gebildet sich Nennenden täuschte, auf Nimmerwiedersehen
verschwänden.
Doch, wenn man es versteht, die Augen zu öffnen und
über das ohne Vorurtheil und mit Sachkenntniss Wahrgenommene
genau nachzudenken, kommt man auch ohne
Studium von Geschöpfen höchster und niedrigster Ordnung
zu nicht zu verachtenden Thatsachen, Polgerungen und
Erleuchtungen; nur ist es nothwendig, niemals dem Glauben
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