http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0675
664 Piyohisohe Studien. XXIX. Jahrg. 11. Heft. (November 1902.)
Letzte Woche besuchte ich mit Dr. med. L. ganz zufällig
einen in der Umgegend wohnenden bekannten Hellseher
oder besser Magier, einen einfachen, bescheidenen
Singhalesen von etwa 40 bis 50 Jahren, an dessen Haus
ein Schild angebracht ist mit der Aufschrift: Fortune teiling
through astral light. Ich dachte da bei sicherlich nicht mehr
an den Lärm m meinem Haus, der übrigens inzwischen
etwas nachgelassen hatte, sondern nur an einen Ring, der
mir damals abhanden gekommen war. Nach etwa zwanzig
Minuten Vorbereitung (Autohypnose durch fortwährendes
Anstarren eines schwarzen Piecks auf einem Beteln ussblatt,*)
ferner durch Räucherungen) sagte der Mann auf Englisch:
„Ich bin bereit. Wo soll ich das Astrallicht hinschicken?"
Ich antwortete: „Nach der Villa B. in C.a Nach etwa zwei
Minuten sagte er: „Ich bin dort,a und beschrieb nun das
Haus, jedes Möbelstück, jedes Bild ganz genau. Dann fuhr
er fort: „Sie werden durch heftiges Geräusch in Ihrem
Haus sehr belästigt. Dieses Geräusch geht von einem bösen
Geist**) aus, der Brahasbuti heisst. Derselbe hat alle früheren
Bewohner des Hauses vertrieben and sucht nun auch Sie
hinauszutreiben. Er hat Sie alle beide krank gemacht."
Ich entgegnete, ich befände mich doch völlig wohl; er
blieb aber dabei, ich sei krank. Jedenfalls wusste ich nichts
davon, und meine Frau hatte ich anscheinend ganz wohl
verlassen. Ich frug nun den Magier, ob er mir angeben
könne, was meine Frau gerade in diesem Moment thäte.
Er antwortete: „Sie liegt mit grossen Schmerzen auf dem
Bett; sie hat eine Krankheit im Unterleib." Ich glaubte
das nun allerdings nicht; allein es war mir doch etwas
unheimlich dabei zu Muthe, da der Mann Alles andere ja
ganz korrekt beschrieben hatte.
Nun kam Dr. L. an die Reihe. Er lebt mit Familie
in Penang, fünf Tage Fahrt mit dem Dampfer von hier,
und ist gegenwärtig nur hier auf Besuch. Der Clairvoyant
beschrieb sofort sein Haus ganz genau, gegenüber einem
Hotel u. 8. w. Dann sagte er, alle Bewohner desselben,
fünf an der Zahl, zwei Frauen, ein Mädchen und zwei
Knaben, seien erkrankt; er sprach von einer starken Entzündung
und einer Krankheit de3 Blutes; das Haus stünde
unter Quarantäne mit polizeilicher Aufsicht. - Tatsächlich
hat Dr. L. inzwischen von einem Freund ein Telegramm
*) Dieser Fleck — sagt der Berichterstatter — wird mittelst einer
Salbe gemacht, die aus nicht weniger als 108 verschiedenen Thieraugen
(von Fröschen, Eidechsen, Lemuren u. s. w.) hergestellt wird.
Dies erinnert an die bekannte Wolfschluchts-Scene im „Freischütz".
**) Im Original: „evil spirit*.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0675