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676 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 11. Heft. (November 1902.)
erkennung gefunden und Anregung gegeben haben, so hat
wohl auch der Marquis Claude de St. Martin nur auf sehr enge
Kreise eingewirkt, am ersten in Frankreich, obgleich Ueber-
setzungen seiner Schriften nach seinem Tode (1803) auch in
Deutschland erschienen sind. Ein lebhafteres Interesse dafür,
das vor fünfzig Jahren — um die Entstehungszeit des heutigen
Spiritismus — erwachte, führte zur Gründung von Martinisten-
Logen, und 1898 konnte sich in Paris ein SuprSme Conseil
des Ordens constituiren, der, in Europa und Amerika verbreitet
, eine Art „christlicher Ritterschaft" zur Bekämpfung
des Materialismus und Atheismus bilden sol!, frei von allem
Bekenntnisszwang und allem Klerikalismus, und so uneigennützig
in seiner Einrichtung, dass er von seinen Mitgliedern
keine Beiträge verlangt, da alle Unkosten von den Beamten
getragen werden. Eine hervorragende Stellung in diesem
Bunde nimmt Dr. G. Encausse ein — mit seinem Ordensnamen
Papus —, der ausser der Zeitschrift „L'Initiation"
eine Anzahl Schriften herausgegeben hat, welche über die
von den „Eingeweihten" vertretenen Lehren Auskunft geben.
Sie sind nicht leicht zugänglich, auch nicht eben leicht
geniessbar. Auch die neueste Veröftentlichung*) bietet in
Anordnung und Darstellung keineswegs die Klarheit und
Uebersiehtlichkeit, die man von einem Handbuche erwarten
möchte. Schon der Titel erregt einiges Bedenken. Denn
vom Spiritismus oder Spiritualismus ist in dem Buche nur
vorübergehend die Bede, und die Bezeichnung Occultismus
ist hier weder in dem allgemeinen Sinne gebraucht (als
Zusammenfassung der Geheimwissenschaften), wie er uns
hauptsächlich durch die Schriften K. du PreH geläufig
geworden ist, noch in der anderweit üblichen besonderen
Anwendung auf die indische Theosophie. Der Ausdruck
„Hermetismus" scheint daher den Vorzug zu verdienen.
Und dass er im Sinne des Verfassers ist, geht schon daraus
hervor, dass er sich als Director der „ireien Hochschule
der hermetischen Wissenschaften" bezeichnet.
Dass Hermes Trismegistus eine gänzlich mythische Figur
ist, bietet dabei keine Schwierigkeit. Für den Hermetisten
ist dies der Collectivname der „ägyptischen Universität, der
Körperschaft von Mystagogen und Mysten (initiants und
initiös), die in den Tempeln des alten Aegyptens uralte
Weisheit pflegte, sie Männern, wie Orpheus, Moses, Lykurg,
Solon u. a. mittheilte und durch die Gnostiker in das
Christenthum einfliessen liess. Nach der Romanisirung
*) L'Occultisme et le Spiritualisme. Expose des th^ories philo-
sophiques et des adaptations de roccultisme. Par G. Kncausse (Papus),
Paris, F. Ekern, 1902. — Vgl. „Psych, Stud/ S. 386 er.
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