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702 PsyoWsohe Studien. XXIX. Jahrg. 11. Heft. (November 1902.)
gewöhnlich an, dass die Naturvölker gegen Sehmerz weniger
empfindlich seien, als die Europäer; Baddon meint jedoch,
es sei andererseits zweifelhaft, ob die Ersteren fähig sind,
Schmerzen standhaft zu ertragen. Schmerzhafte Versuche
konnte Haddon selbstverständlich nicht vornehmen; so viel
aber ging aus dem Eiukneifen der Haut hervor, dass jene
Inselbewohner sich weniger empfindlich zeigten als die anwesenden
Weissen. Genau so wie die Letzteren hatten auch
die Eingeborenen Hautstellen, an denen sie Kälte nicht
vertragen konnten.
e) Das Traumleben der Verbrecher. Es ist
ganz allgemein die Ansicht verbreitet, dass Verbrecher in
den Nächten nach der That von Gewissensbissen und ängstlichen
Träumen gequält werden. Dies entspricht jedoch nicht
den Thatsachen. Prof. Dr. Sante de Sanctis in Rom, einer
der ersten Traumkenner der Gegenwart, widmet in seinem
bekannten, kürzlich auch in deutscher Uebersetzung erschienenen
Buche: „Die Träume" (Halle a. S„ C. Marhold)
dieser Frage ein längeres Kapitel und bringt auch über von
ihm selbst bei Verbrechern gemachte Beobachtungen einige
interessante Mittheilungen. Bisher waren überhaupt noch
keine systematischen Untersuchungen über das Traumleben
der Verbrecher angestellt. Der Verbrecher, besonders der
Verbrecher gegen das Leben, schläft, nach de Sanctis, in den
auf das Verbrechen folgenden Nächten und während der
Strafverbüssung ruhig und tief, falls selbstverständlich nicht
besondere Ursachen (allgemeine und nervöse Krankheiten,
Wahnbildungen u. s. w.)f worunter nicht zuletzt auch
atmosphärische Einflüsse in Betracht kommen, seine natürlichen
Veranlagungen ändern. Die Verbrecher träumen im
Allgemeinen wenig und selten; nur eine Minderheit träumt
viel oder gar nicht. Je mehr der Grad der Kriminalität
zunimmt, um so weniger lebendig ist das Traumleben, und
zwar so, dass bei den schweren Verbrechern, den absolut
Unmoralischen, die Traumthätigkeit ebenso aufgehört hat,
wie bei Idioten und Apathischen. Die arbeitenden Verbrecher
träumen viel weniger als die in Einzelhaft befindlichen. Das
Gefühlsleben im Traume ist bei den Verbrechern sehr beschränkt
; ihre Träume sind fast immer einfache Erinnerungen
an das vergangene Leben draussen oder Wiederholungen von
Tagesereignissen ohne emotive Färbung. Je schwerer der
Grad der Kriminalität, um so seltener die emotiven Träume.
Die Scene des Verbrechens wiederholt sich im Traume nur
selten (etwa beim vierten Theile der träumenden Verbrecher)
und dann ist ihre Wiederkehr nicht immer von einer nennens-
werthen Gemüthsreaction begleitet. (Leipz. N. N. Nr, 251.)
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