http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0738
M. H.: Mein Examensaufsatz.
727
gebenen Zeit wohl um sein möchte. Ich schrieb nur, schrieb
wie in einem Fieber! Und als nach 2 Stunden unser Direktor
erschien, um die kostbaren Manuskripte einzusammeln, setzte
ich gerade mit fliegender Feder den Schlusssatz unter meine
Arbeit, die ich ihm nun, wie erlöst aufatmend, „fertig"
übergeben konnte, als er zu mir kam und mich bedeutungsvoll
fragend ansah.
Ich weiss noch, wie wenn es heute gewesen wäre, dass
mir alle Glieder flogen, als wir aufstanden, um uns zu einer
kurzen Pause zurückzuziehen. Von dem, was ich geschrieben,
hatte ich kaum noch einen Begriff, musste nur immer denken:
„Einen vollständigen Aufsatz hast du abgeliefert. Aber
wie mag er sein? Was hast du Alles zusammen geschrieben
?"
0, die tagelange quälende Ungewissheit, welche nun
folgte, und die nur erträglich gemacht wurde dadurch, dass
immer neue Aufgaben an uns herantraten, welche gelöst
sein wollten. Endlich — nach Beendigung der Prüfung —
sah ich aus den mitgetheilten Resultaten, dass meine Arbeit
gelungen, dass sie Gnade vor den Augen unserer scharfen
Kritiker gefunden hatte. Examenglück! Wem hatte ieh's
zu danken? Meinem Traum, der mich so fröhlich gestimmt
hatte? Der Morgenstunde, in der ich mit frischen Kräften
an die Arbeit gegangen war? Oder dem unerbittlichen
„Du musst !'* welches vor mir gestanden und mich zu einem
Kampfe herausgefordert hatte, in dem ich nur siegen konnte,
wenn ich bewies: „Ich will und ich kann!"? Nun, ich
meine, alle diese drei standen im Dienste einer höheren
Macht und bewirkten das kleine Wunder. —
Jedenfalls habe ich aber alle Ursache, mich voll freudiger
Dankbarkeit meines Traumes und jener 2 Stunden zu erinnern
, in denen dieser lür meine ganze Zukunft so wichtige
Klausuraufsatz entstand.
Eins thut mir oft leid! Nämlich — dass ich dieses
Geisteskind nicht später noch einmal in Händen halten und
mit Ruhe und Müsse durchgehen konnte! Heute noch
wtisste ich gar zu gern, in welcher Weise ich damals die
gestellte Aufgabe angefasst und gelöst habe. — Ein vergeblicher
Wunsch! Der „Anschauungsunterricht** ruht begraben
und vergessen im Schularchiv, wenn er nicht längst
dem Schicksale alles Zeitlichen, der Vernichtung, anheim
gefallen ist. __
Noch einen andern bedeutsamen Traum möchte ich im
Anschluss hieran der Beurtheilung wissenschaftlich gebildeter
Psychologen unterbreiten:
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1902/0738