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Maier: Ein neues Werk von Prof. Th Flournoy. 737
flächlicher Kenntnis« der einschlägigen Litteratur, alle
spiritistischen Medien schlechtweg des bewussten Schwindels
geziehen hatte, nun wenigstens diese seine frühere Ueber-
zeugung öffentlich dahin „rektifizirt": er sehe nunmehr ein,
dass — vielleicht sogar in der Mehrzahl der IMle — eine
volle, ehrliche Ueberzeugung der Medien von der Echtheit
der durch sie vermittelten Phänomene im Spiel sein kann,
so dass dann also nicht bewusster Schwindel, sondern
Selbstbetrug vorliege.
Prüfen wir unter diesem Gesichtspunkt das durch
Flournoy gelieferte Beweismaterial von Neuem und rekapitu-
liren wir zunächst an der Hand jener Darlegungen nochmals
die wichtigsten Resultate des schon früher besprochenen
bedeutsamen Hauptwerks des scharfsinnigen Gelehrten. Das
vielgenannte Medium ist, wie schon früher erwähnt wurde,
eine in den vierziger Jahren stehende, einer einfachen, aber
guten Genfer Familie entstammende kerngesunde Dame,
die seit ihrem 16. Lebensjahr in einem dortigen gross» n
Handelshause angestellt war, unverheirathet blieb und sich
— bei lebhaftem, aber das Mass der Durchschnittsbildung
solcher Personen nicht überschreitendem Interesse für Kunst
und Litteratur — durch ihre Intelligenz und ihre Berufstüchtigkeit
mit der Zeit eine angenehme Stellung verschaffte,
die sie erst neuestens freiwillig aufgegeben hat, um, der
Einladung einer reichen amerikanischen Spiritistin als deren
Gesellschaftsdame folgend, Ende 1900 nach Paris zu ziehen
und dort in einem streng exklusiven Kreis gläubiger Anhänger
„Geistermanifestationen zu produziren", die der ihr
allmählich unliebsam gewordenen Kritik der skeptischen
„Wissenschaftler" entzogen bleiben sollen.
Aehnlich wie andere berühmte Medien — vor allen
Mrs. d'Esperance und Fürstin Marie Karadja (vergl. August-
Heft S. 519/20) — liebte sie als Kind die Einsamkeit,
vermied die Spiele der Freundinnen und konnte halbe
Stunden lang unbeweglich vor sich hinträumen, wobei ihre
noch jetzt bewundernswerth üppige Phantasie darin hervortrat
, dass sie sich an vorgestellten Farben, Landschaften,
Ruinen und dergl. ergötzte und als 14jähnges Mädchen
phantastische Erscheinungen hatte, die halb Traum, halb
Halluzination waren; hier und da hatte sie auch in wachem
Zustand kurzdauernde Halluzinationen und nahm z. B.
Menschen wahr, wo keine solche vorhanden waren. Bemerkens-
wtrth für die spätere Glossolalie des Mediums ist die
Thatsache, dass sich zuweilen in der Schrift des Kindes
ohne erkennbare Ursache unbekannte Schriftzeichen an Stelle
einzelner normaler Buchstaben zeigten.
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