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756 Psychische Studien. XXIX. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1902.)
der Mensch ist wie ein Stein und Thier, auch die
Aeusserungen deines Denkens und Handelns lösen sich auf
in deiner Umgebung, aber es bleibt übrig „die Entwicklung",
der Grund dessen, was deine Persönlichkeit gebildet hat." —
So monistisch im Keime denke schon die Vedantaphilosophie.
Was im Thier nur im Unbewussten lebe, nämlich der Drang
zur Entfaltung seiner Persönlichkeit, müsse im Menschen ins
vollste Bewusstsein treten und im Bewusstsein als Ideal
aufgehen. —
Ein aufgeklärter „Freidenker" Namens Fritz Sänger
polemisirte gegen Dr. Steiner. Die Theosophen gäben stets
vor, die Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft schon
voraus besessen zu haben und noch zu besitzen, aber Proben
solcher Ueberlegenheit hätten sie noch nie gegeben. Er befürchte
, dass eine solche Bewegung nur zu sehr geeignet
sei, die Resultate der modernen Naturwissenschaft wieder
zu untergraben; trotz ruhigster Beobachtung habe er im
Spiritismus nur den Ausdruck des Blödsinns finden können,
die Thatsache des Hypnotismus müsse er jedoch anerkennen
.
Nachdem noch Herr KÖhn in warmen eindringlichen
Worten für Herrn Dr. Steiner eingetreten war, bemerkte
treffend 0. Lehmann-Russbüldt, dass die Ausführungen Herrn
Sänger's typisch wären für die Vertreter der sogenannten
Naturwissenschaft alier Zeiten. Vor 15 Jahren hätte mit
ihr Sänger noch die von Krafft-Ebing u. a. demonstrirte
Thatsache für Unsinn erklärt, dass ein einem Hypnoti-
sirten aufgelegtes Lindenblatt wie ein glühendes Stück
Eisen eine Brandwunde zieht, wenn der Hypnotisirte es
für ein solches ansehen soll; ebenso wie vor 100 Jahren
die französischen Materialisten es für Humbug erklärten,
dass Meteorsteine aus dem Weltenraum auf die Erde
fallen können.
Dr. Steiner wandte sich sodann selbst noch einmal
energisch gegen die Verwechselung von Theosophie und
vulgärem Spiritismus. Wenn Herr Sänger solchen Theosophen
begegnet sei, die dazu Veranlassung geben, so möge er sich
an diese halten; er, Dr. Steiner, lehne das entschieden ab.
Er halte es für unmoralisch im philosophischen Geiste, wenn
man durch die Offenbarungen sogenannter Geister Belehrungen
über Schicksal und Menschennatur erlangen
wolle; das wäre grober Materialismus. Er lege auch
keinen besonderen Werth auf den Namen Theosophie.
Vor allem sei ihm bedeutsam die hohe Ethik der Theosophie
in seinem Sinne, die z. B. in der Pädagogik zu
den ernstesten Konsequenzen führe. Welche Perspektive
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