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766 Psychische Studfon. XXIX. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1902.)
sächlich sind mir Kopf, Brust und Arme in der Erinnerung;
es war, als tauche die übrige Gestalt in ein Dunkel. Gekleidet
war er ganz wie gewöhnlich im Leben. — Ich
empfand noch die volle Wucht des ersten Eindruckes und
der Schauder ging mir durch alle Nerven, da sagt meine
Schwester ganz gcniüthlich: „Er war auch gerade bei mir,
er hat mich untersucht und erklärt, dass es mit meinen
Herzzuständen gar nichts zu sagen habe, ich solle mich nur
kalt waschen." (Auf kalte Waschungen hat er auch schon
bei Lebzeiten viel gehalten.) Meine Schwester fragte mich
hierauf noch einmal: „Warum hast Du denn aber so geschrieen
?" „Die Gemüther sind eben verschieden, meine
Liebe," war meine Antwort. Aus dem Umstand, dass auch
meine so ruhige und verstandesklare Schwester dieselbe Erscheinung
unmittelbar vorher hatte, schliesse ich, dass nicht
etwa eine blosse Halluzination oder ein Wachtraum, sondern
ein wirklicher Besuch aus dem Jenseits mir zu theil wurde,
weshalb ich dieses kleine Erlebniss den Lesern der „Psych.
Stud." zur ßeurtheilung unterbreiten zu sollen glaubte.
Ergebenste /. M"
Die freundliche Einsenderin, die ihren Namen sowie
sonstige Personalien der Redaktion angiebt, beruft sich für
die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen überdies auf das Zeug-
niss eines angesehenen Beamten W. und fügt bei, dass sie
und ihre Schwester vor einigen Jahren auch ein Brandunglück
, das sich in Meisenheim neben dem elterlichen
Hause desselben zutrug, im Traume sahen, was sie sich
selbst daraus erklärt, dass sich die Angst der Frau W. den
beiden Damen telepathisch mittheilte. Was die obige „Erscheinung
" betrifft, so fehlt dabei leider — wohl infolge des
jähen Erwachens aus einem beängstigenden Traum — die
auf genauer Beobachtung beruhende Angabe näherer Einzelheiten
, ohne welche eine ßeurtheilung derartiger Fälle nach
wissenschaftlichen Prinzipien unmöglich ist. Red.
g) Traum und Hunger. Alle unsere körperlichen
Zustände haben einen Zufluss auf unsere Träume. Auch
der Hunger macht sich bei der Wahl unserer Träume bemerkbar
. So berichtet schon Gersfenberg in seinem Drama
„Ugolino" im 2. Akte von Hungerträumen, in denen der
Schlafende zu essen glaubt, und behauptet, dass die sättigende
Wirkung dieser Träume noch über d^s Erwachen
hinaus bestehen bleibe. Auch im Drama „Die Pisanerk<
von Schack werden in der Kerkerscene zwei Söhnen Ugolinos
Hungerträume untergelegt. Kurt Hantsum, der in seinem
Roman „Der Hunger" diesen aus eigener Erfahrung schildert,
erzählt, wie in ihm häufig zwangsmässig die Vorstellung von
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