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Kurze Notizen.
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Todestag von Hassan und Hussein. Die Zeremonien bei
dieser Festlichkeit gaben wieder ein düsteres Bild von dem
Fanatismus der schiitischen Derwische, und kein zivilisirter
Mensch, der einmal Augenzeuge eines solchen „Festes11 war,
wird sich entschliessen können, diesem furchtbar grauenhaften
Schauspiel ein zweites Mai beizuwohnen. In dem
schwarz abgeschlagenen', aber strahlend erleuchteten Hof
des persischen Bethauses versammeln sich die passiven Fest-
theilnehmer, also die Zuschauer, um eine Estrade in der
Mitte, die speziell für den nie fehlenden persischen Gesandten
und die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft errichtet
ist. Das Zeremoniell beginnt mit einem Gebet für
den Sultan und den Schah von Persien. Dann ziehen zwölf
Prozessionen von Derwischen an den Zuschauern vorüber.
Voran der Anführer mit dem symbolischen Stab; ihm folgen
die Träger mit Standarten und Fackeln und zuletzt die
„Trauernden", von denen sich einige mit eisernen Ketten
schlagen, während der Rest sich mit Fäusten die Brust
bearbeitet. Das grosse Ereigniss des Abends aber kommt
erst ganz zum Schluss. Mit dem lauten Rufen „Hassan!
Hussein!" versetzen sie mit den Schwertern, die sie tragen,
ihren Köpfen unbarmherzige Hiebe und Stösse. Diese
Szene ist im höchsten Grade schauerlich. Der Mond über-
giesst mit seinem silbernen Licht das Gewühl von weiss-
eekleideten Derwischen, die heulend und kreischend sich
d,e Köpfe zerhacken. Das Blut spritzt nach allen Eichtungen
und fliesst in Strömen an der hellen Gewandung herab.
In das Wehegeschrei der sich Geisseinden mischt sich das
Schluchzen und Stöhnen der Zuschauer, die vor verzweifeltem
Kummer fast vergehen wollen. Dieser grenzenlos scheinende
Gram dauert aber nur solange, bis die grauenvolle Prozession
vorüber ist. Der' Qualm der Fackeln in Verbindung
mit dem Geruch von Blut ist geradezu unerträglich. Bei
dem letzten Umzug machen die „Klagemänner" vor dem
Platz des Gesandten Halt und verlangen von ihm die Freilassung
irgend eines Gefangenen. Der Wunsch wird stets
erfüllt. Hiermit ist das Fest beendet und in wenigen
Minuten kehrt man nach Pera und somit zur Zivilisation
zurück. Am nächsten Tage hörte man, dass drei Männer
an den Wunden, die sie sich selbst beigebracht, schon
während der Nacht gestorben waren.
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