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8 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1903.)
malerischen Bestrebungen grossen Einfluss auf Shelley aus
Godrvin hat sich den Weltumschwung durch innere Revolution
, durch eine innere Befreiung der Menschheit gedacht,
welche die äussere Freiheit zur Folge haben würde. Shelley
aber hat — wie H. Druskowitz sagt — dem modernen Freiheitsgefühl
den schwungvollsten Ausdruck verliehen und der
Menschheit die hoffnungsvolle Ueberzeugung von dem endlichen
Siege des Genies und der Tugend vordemonstrirt. Er
ist Pantheist im Sinne Spinozd% und sein Sehönheitsbegriff,
wie er sich in seiner „intellektuellen Schönheit" (Intellectual
Beauty) ausdrückt, nähert sich dem hellenischen Ideal.
„(#ieen Mab" beginnt mit den von Byron so bewunderten
Strophen:
Welch Wunder ist der Tod,
Tod und sein Bruder Schlaf!
Der Eine bleich, dem Monde gleich,
Mit Lippen fahlen Blau's,
Der Andere rosig, wie der Tag,
Der purpurn aus dem Meer
Heraufglüht in die Welt,
Und Beide, ach, so schnell verrauscht.
Auch mit dem Probleme der Unsterblichkeit der Seele
beschäftigt sich ein so hoher Geist, wie Shelley. 1815 schrieb
er einen Essay „Ueber den zukünftigen Zustand«, worin er
über die Unsterblichkeit ein „non liquet" ausspricht. Zu
dem Eorsaren a. D. Trelawney sagte er aber in seinem
Todesjahre: „In unserem gegenwärtigen grob materiellen
Zustande sind unsere Fähigkeiten verdunkelt; wenn der Tod
die irdische Umhüllung entfernt, wird das Mysterium gelöst
sein." Ein ander Mal: „Tod ist der Schleier, welchen die
Lebenden Leben nennen; wenn sie schlafen, wird er gehoben
sein." Im tiefsten Herzen glaubt Shelley an die Unsterblichkeit
der Seele. In der ergreifendsten elegischen Threnodie,
die vielleicht jemals geschrieben wurde, im Klageliede
auf Keafs Tod „Adonais" (Mai 1821) fragt er, warum Alles
in der Natur zu neuem Leben erwachen solle, blos der
Geist nicht?
Nichts, was wir kennen, stirbt, der Geist soll sein
Gleich einem Schwert, vor seiner Scheid verzehrt
Von blauem Blitz? Des Gluthatomes Schein
Glänzt einen Augenblick — dann hüllt die Nacht es ein ...
Weh mir? Woher, warum sind wir?
Ob Masken welcher Buhn' oder Zuschauer? . . .
Und nun spricht er den Gedanken aus, dass der menschliche
Geist sich nicht mit der Vorstellung begnüge, ein Theil der
Weltseele zu sein, er sehne sich nach einem individuellen
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