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Seiling: Weiteres über „Goethe und der Okkultismus11. 25
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aber auch am zweiten Verfahren nicht gefehlt hat, dafür |
kann ich ein Beispiel anführen, welches das ehrenwerthe
Verhalten der „Frankfurter Zeitung" noch hinter sich lässt.
Zur Erklärung dieses Falles scheinen mir die von Lassatte \
angegebenen Eigenschaften des Zeitungsschreibers nicht hin- !
reichend zn sein; es muss vielmehr ein ganz fanatischer j
Dogmenglaube mitherangezogen werden, und zwar sowohl
der Glaube an gewisse materialistische Absurditäten, als
an die Unfehlbarkeit der deutschen Professorenweisheit. Es
ist, beiläufig gesagt, zu possierlich mitanzusehen, wenn Leute,
welche die vom katholischen Standpunkt aus ganz berechtigte
und konsequente Unfehlbarkeit des Papstes (als eines „ex
cathedra" sprechenden Lehrers) bespottein, an der gleichen
Eigenschaft der privilegirten Wissenschaft doch keinen
Äugenblick zweifele, obschon diese sich unzählige Male
blamirt hat. Weil die deutschen Professoren, im Gegensatz
zu vielen ausländischen, zu voraussetzungsvoll, zu unwissend
, zu unehrlich und zu feige sind, um dem Okkultismus
näher zu treten, deshalb dürfen sich die Zeitungen
erlauben, dieses Wissensgebiet in der bekannten Weise
lächerlich zu machen; nicht umgekehrt, wie man hin und
wieder sagen hört: so lange die Zeitungen den Okkultismus
in den Schmutz zögen, könnten die Professoren sich mit
ihm nicht befassen. Diese brauchten vielmehr nur Miene
dazu zu machen, und sofort würde der ganze Journalistenchorus
ein anderes Lied singen. Es giebt z. ß. keine Tollheit
und keine Gemeinheit, die von den unter dem Schutze
der Schulmedizin stehenden Vivisektoren nicht schon begangen
worden wäre, und dennoch ist die an Missgriffen
und Missbräuchen auch sonst nicht arme Schulmedizin bei
den allermeisten Zeitungen der Gegenstand ausschliesslicher
Lobpreisung und widerlichsten Götzendienstes*)
*) Wer die hier gemachten Angriffe auf die akademische Wissenschaft
zu scharf finden sollte, der hat jedenfalls keine Ahnung von ,
Dem, was Lichtenberg. Schiller, Schopenhauer, Zöllner* Dührinq. Nietzsche
und andere Berufene über den Purchschnittsprofessor geäussert
haben. Am schlimmsten scheint es um die Philosophie bestellt zu
sein, da der junge (nicht etwa der spätere, verbitterte) Nietzsche kein
Bedenken trägt, die ungeheuren Sätze niederzuschreiben: „Schopenhauer
würde, wenn er jetzt seine Abhandlung über Universitätsphilosophie
zu schreiben hätte, nicht mehr die Keule nöthig haben,
sondern mit einem Binsenrohre siegen. Es sind die Erben und
Nachkommen jener Afterdenker, denen er auf die vielverdrehten
Köpfe techlug: sie nehmen sich Säuglings- und zwergenhaft genug
aus, um an den indischen Spruch zu erinnern: Nach ihren Thaten
werden die Menschen geboren, dumm, stumm, taub, missgestaltet.*
(„Schopenhauer als Erzieher/) Das „stumm, taub" zu unterschreiben,
haben wir Okkultisten wahrlich allen Grund. Es hat indessen mit
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