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28 Psyohisohe Studien. XXX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1908.)
beachtenswert!:», dass Nataly v. E$chstrutti% „Spuk" im Goethe-
Jahrbuch (1899), dessen Herausgeber, Prof. Ludwig Geiger,
mit dem Leben Goethes sehr vertraut ist, ohne irgend welche
skeptische Bemerkungen angezeigt ist; es heisst vielmehr
nur, das Buch enthalte räthselhafte Begebenheiten aus
Goethe's Leben. —
Um jetzt endlich auf jenen Brief Goethe's an Lavater
wieder zurückzukommen, in welchem vom Geist Gablidm
die Rede ist, so scheint Goethe ein Bild der angeblichen
Erscheinung erhalten zu haben; denn der Brief beginnt mit
den Worten: „Arbeiten und Zerstreuungen haben mich abgehalten
, Dir für den überschickten Gablidon zu danken,
welcher mir eine wunderbare Erscheinung gewesen ist."
Näheres konnte ich dem Briefwechsel, wie er sieb in den
„Schriften der 6r0£*A0-Gesellschaft" findet, nicht entnehmen,
da er vielleicht nicht lückenlos ist; wenigstens enthält der
vorhergehende, drei Monate früher datirte Brief Lavater's
an Goethe nichts über Gablidon. Dass Goethe — wie es jeder
halbwegs besonnene Okkultist von heute auch gethan haben
würde — sich in diesem Falle sehr skeptisch verhielt und
die blosse Abbildung einer zweifelhaften Erscheinung nicht
als genügend beweiskräftig ansah, darf um so weniger
Wunder nehmen, als er keine Ahnung davon haben konnte,
dass gerade das Abstossende der Manifestationen unter
Umständen problematisch werden kann.
Unendlich viel wichtiger als Goethe'* nur zu leicht erklärliche
abfällige Bemerkungen über Gablidon ist nun aber
seine im Eingang des Briefes in einer sehr nüchternen
Lebensperiode geraachte Aeusserung, dass er geneigter als
Temand sei, „noch an eine Welt ausser der sichtbaren zu
glauben." Diese dem Materialismus direkt ins Gesicht
schlagende Stelle nicht unterdrückt zu haben, dazu bedurfte
es der ganzen Dummdreistigkeit des Zeilenschinders
der „Frankfurter Zeitung". In der That fällt schon dieses
eine ßekenntniss Goethe1^ hundertmal schwerer ins Gewicht
als Alles, was die Gegner der spiritualistischen (nicht zu
verwechseln mit: spiritistischen) Weltansicht in der „Bibel
des modernen Menschen" zu ihren Gunsten etwa finden
möchten. Nun hat aber Goeihe sich unzählige Male, von
allen besonderen Aeusserungen über okkulte Dinge ganz
abgesehen, zum Primat des Geistes? zur Fortdauer nach
dem Tode und zur Existenz einer übersinnlichen Welt bekannt
. Wenn diese sich übrigens gegenseitig bedingende
und ergänzende Dreiheit ein obskurer Wahn ist, dann war
Goethe — das lasse man sich gesagt sein! — einer der
grössten Obskuranten, die es je gegeben hat. Und dass
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