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40 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1903.)
fügung eines unsichtbaren „zweiten Ichs" gestellt und vor
kurzem einen Band höchst interessanter und ganz eigenartiger
Gedichte erscheinen liess unter dem Titel: „Klänge
aus einem Jenseits". Ein Mysterium. (Brosch. 3,
geb. 4 M.). — Blüthgen hat sich in diesem Roman mit dem
Welträthsel beschäftigt, das immer wieder riesengross vor
uns aufsteigt und ewig das Eine fragt: Woher, wohin,
warum? Satte Leute der Wissenschaft lächeln und zucken
die Achseln über die wunderlichen Träumer und Grübler,
die gerne einen Zipfel des Schleiers nur lüften möchten,
der uns die JenReits-Dinge verbirgt. Ja, nicht genug, man
wird für einen Idioten oder für einen progressiven Trottel
gehalten, so man das Wort eines Grossen nachzudenken
versucht: „Die Geisterwelt ist nicht verschlossen". —
Der Roman führt uns in die Kreise von Berliner
Spiritisten und schildert mit grosser Treue Menschen und
Zustände. Der Verfasser verfügt nicht nur, wie längst bekannt
, über einen feinen Humor, er versteht nicht nur
spannend und fesselnd zu erzählen, sondern er fasst das
Thema tief und ernst, und jeder, der mit den einschlägigen
Fragen des Spiritismus näher bekannt ist, wird das Buch
hoch befriedigt aus der Hand legen. Die Gründlichkeit und
der philosophische Ernst, mit dem der Dichter an die spiritistische
Hypothese herantritt, wirken höchst sympathisch.
Victor Blüthgen studirte an bester Quelle, in seinem eigenen
Hause, diese Dinge, und eben darum sind die Erlebnisse
und Offenbarungen, die in dem Roman mitgetheilt werden,
doppelt interessant. Es zeugt von der Wissenschaftlichkeit,
von der Objektivität des Schriftstellers, wenn er an den
Schluss seiner Vorrede die Worte Kanth setzt: „Es ist
ga»z und gar nicht unsrer Bestimmung gemäss, uds um die
künftige Welt viel zu kümmern, sondern wir müssen den
Kreis, zu dem wir hier bestimmt sind, vollenden und abwarten
, wie es in Ansehung der künftigen Welt sein wird."
Und am Schluss des Romans, der natürlich die Schicksale
seiner Helden vom freien Spiel der Phantasie gestalten
lässt — wenn vieles darin auch auf selbst erlebten Er-
scheinungsthatsachen beruht —, kommt er zu dem Einsehen,
dass „diese ganze ungeheuere Frage, zu der tausendfach allenthalben
unter der Hand Beiträge gemunkelt und geflüstert
werden, mit der man sich auf Thronen beschäftigt ebenso
wie dort, wo die Einfalt Hausrecht hat, — nie verschwinden
wird, wie sie die ganze Geschichte der Vergangenheit durchzieht
." Ein Hauptreiz des Romans besteht darin, dass er
die spiritistische Bewegung beschreibt und meisterhaft
zeichnet, wie sie sich in allen Kreisen bemerklich macht.
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