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42 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 1. Heft (Januar 1903.)
Tod durch ITeberrednng^*)
Die Ueberredung spielt in der Mensehenwelt auf dieser
Erde eine ganz ungeheure Rolle. Seit der Spiritismus aufgekommen
ist, hat man sich daran gewöhnt, für die Ueberredung
im besonderen das Wort Suggestion zu brauchen.
Möglicherweise verstehen die Vortreter des Spiritismus unter
diesem Ausdruck noch etwas anderes; aber uns scheint der
Begriff der Ueberredung den der Suggestion durchaus ein-
zuschliessen. Er ist sogar besser als letzterer, weil er das
Wesen der Erscheinung klarer ausdrückt, als das oft gebrauchte
und missbrauchte Fremdwort. Die Wirkung der
Ueberredung lässt sich leicht durch Versuche vielfältig erweisen
. So gehört es schon zu den alten Geschichten, dass
ein Arzt bei einem Patienten einen „durchschlagenden"
Erfolg erzielen kann, wenn er ihm ein Glas gefärbten
Wassers zu trinken giebt und ihm sagt, dass es ein starkes
Mittel enthalte. Es sind also auch rein körperliche Wirkungen
durch Ueberredung möglich, d. h. doch nicht rein
körperliche, indem sie ja immer durch die Beeinflussung
seitens des Nervensystems zu Stande kommen. Was wollen
aber derartige Folgen dagegen sagen, dass auch der Tod
durch Ueberredung hervorgerufen werden kann? Daran
werden nun freilich die meisten zweifeln. Aber es liegen
Zeugnisse dafür vor, die doch nicht so ohne weiteres bei
Seite zu schieben sind, weil sie mindestens zum Theil von
geachteten und glaubwürdigen Personen herrühren. Oberst
de Bockas in Paris, ein bekannter Forscher, der sich vielfach
auch mit den geheimnissvollen Kräften des Menschenlebens
beschäftigt hat, erzählt ein wunderbares Erlebniss,
das in dieses Kapitel fällt. Er traf eines Tages in seinem
Laboratorium einen Mann, der ihm durch seine Leichtgläubigkeit
bekannt war, und beschloss, mit ihm ein Experiment
der Ueberredung anzustellen, das in seinem Verlaufe
bis zu den äussersten Grenzen ging, die für beide Theile
allenfalls gestattet waren. Er sagte plötzlich zu dem Manne,
der grosse, in dem betreffenden Räume befindliche Wasserhahn
wäre offen und der ganze Boden schon mit Wasser
bedeckt. Jener sah sofort das Wasser vor Augen und ging
auf den Fussspitzen bis zu einer Leiter, auf deren erste
Sprosse er sich stellte. Nun aber wiederholte de Rockau
mehrmals in einem angenommenen Tone der Angst: „Ich
kann den Hahn nicht schliessen, das Wasser steigt immer
weiter, es steht Ihnen schon bis an die Kuiee, jetzt schon
bis an die Brust, und jetzt bis an den Hals!41 Bei der
"*) Aus dem „Leipz. Tageblatt* Nr. 601 v. 26. Nov. v. J.
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