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v. Pannwitz: Die Psychologie im Gerlchtss&ai.
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jede Erwähnung. In einem Gefängnisse wusste sich ein
schwerer Verbrecher einen — Häring zu verschaffen, mit
dem er sich, als ob es ein Messer wäre, auf den Wärter
stürzte. Dieser Hess vor Entsetzen den Schlüsselbund fallen,
der Gauner hob ihn auf und entwischte. Bei einer Hinrichtung
zog der Henker grellfarbene Handschuhe an.
Personen, die dem Hinrichtungsakte anwohnten, meist
Juristen, wurden hernach nach der Farbe dieser Handschuhe
gefragt und keiner wusste sie richtig anzugeben.
Keinen grösseren Unfug giebt es, als das Schicksal eines
Menschen von der Farbe eines Anzuges, eines Hutes
u. dergl. abhängig zu machen; denn wir können täglich
beobachten, dass wir uns hierin nur gar zu leicht
täuschen.
Unter anderen Fällen von Sinnestäuschung in Folge
Schreckens und Furcht führt der Vortragende den des
Stationsbediensteten in Trudering bei München an, der
im letzten Winter in der Station von einem Gauner überfallen
wurde, der es auf die Kasse abgesehen hatte. Seit
dieser Zeit war der Mann in steter Aufregung; er schaffte
sich einen Revolver und ein altes Militärgewehr an und
als er wieder einmal -Nachtdienst hatte, schlief er übermüdet,
wie er war, am Tische ein. Da kam ein Güterzug, der
Zugführer begab sich zur Station, um seine Papiere abzugeben
, der Stationsvorsteher glaubte es mit einer Horde
Diebe und Einbrecher zu thun zu haben und schoss den
Zugführer nieder. In Folge jähen Erwachens hatte er eine
falsche Vorstellung und beging in dieser die unglückselige
That. —
Sehr wichtig sind alle Kopfverletzungen; bei diesen
haben schon Leute die Fähigkeit, eine Sprache zu sprechen,
verloren, andere ihre musikalischen Talente eingebüsst.
Auch haben Misshandelte oft eine falsche Vorstellung von
den Personen, die sie beschädigt haben. Dr. v. Pannwitz
erinnert hier auch an einen Fall, der vor mehreren Jahren,
wenn wir nicht irren, in der Oberpfalz passirte. Die Frau,
zwei Kinder und das Dienstmädchen des Lehrers Brunner
waren bei einem Ueberfall schwer verletzt bezw. getödtet
worden. Die tödtlich verletzte Frau unterzeichnete das
Protokoll, das noch mit ihr aufgenommen werden konnte,
mit einem falschen Namen und starb dann. Dieser Name
war derjenige eines früher bei der Lehrersfamilie be-
diensteten Knechtes Puttenberg, und so kam man dem bis
dahin noch unbekannten Mörder (man hatte aber schon
den Lehrer selbst im Verdachte) auf die Spur, er wurde
auch gefasst und gestand sofort die That ein.
Psyohbohe ötudion. Januar 1908. 4
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