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Dankroar: Geistige und soziale Strömungen etc. 71
Geduld! Geduld! noch ist nicht das Ende da" So der
„Prophet von Chelsea", wie Carlyte von seinen Jüngern genannt
wird; er, dessen Mission nach K. Bleibtreu*) war:
die Wiedererweckung des puritanischen Radikalismus, der
nicht zu verwechseln ist mit dem Pseudo - Liberalismus,
welchen Carlyte ingrimmig hasste. —
Von den Schriftstellern des viktorianischen Zeitalters
wollen wir noch fünf erwähnen. Von Robert Browning, der
als Denker eben so tief, wie als Dichter dunkel ist, wollen
wir nur sein gross angelegtes Faust-Drama hervorheben:
rParacelms%i. Doch hat das Stück mit den wirklichen
Lebensschicksalen des grossen Arztes und Mystikers wenig
zu thun. Die Handlung dient blos als Unterlage zu
spekulativen Unterredungen und zur Ausspinnung trans-
scendentaler Gedanken. — Die beiden Romanciers Edward
Lytton Bulwer und Charles Dickens (der zuerst unter dem
Pseudonym Bot = Moses schrieb) ergänzen einander: wendet
sich jener dem Abstrakten zu, so dieser dem Konkreten;
schildert jener die oberen Gesellschaftsschichten, so dieser
das Volk, durch dessen harte Schule er gegangen war.
Dickens giebt uns in seinen Werken eine neue Auffassung
der ethischen Bedeutung des Alltagslebens, das er mit einem
unversiegbaren Humor zu schildern versteht, und er hat uns
in seinen „Halten Zeiten" das Musterbild eines sozialen
Romans gegeben, in welchem er einen Strike erschütternd
schildert. In ,.Dombey und Sohn** entwirft er ein treffliches
Gemälde der englischen Bourgeoisie, eine wahre „Naturgeschichte
des menschlichen Egoismus".
Als Dickens, erst 08 Jahre alt. am 8. Juni 1870 starb,
da schrieb Carlyle die Worte: „Sein Tod ist ein Weltereig-
niss: ein Unicum von Talenten ist plötzlich erloschen; mit
ihm scheint die harmlose Fröhlichkeit der Nationen plötzlich
verdunkelt. Der gute, freundliche, hochbegabte, edle
Dickens: jeder Zoll von ihm ein anständiger Mann." Man
hat Dickens oft mit Jean Paul verglichen, er ist aber grösser,
reicher, tiefer, abgeschlossener als dieser. Sein Humor ist
stets natürlich, realistisch; die Satyre. die er uns so oft
giebt, geht von dem Bilde der Wirklichkeit aus, die sein
soll, ist hinreissend geschrieben und eröffnet weite, ideale
Perspektiven. Dabei geisselt Dickens unbarmherzig die bei- f
den englischen Nationallaster: die Heuchelei und die Brutalität
. Er zeigt, wie gerade durch gewisse Sitten und Gebräuche
und Institutionen, auf welche sich der Engländer
:h Marl Bleihtreu: „Geschickte der englischen Litteratur im
neunzehnten Jahrhundert*, II. Bd. p. 856
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