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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen ete. 73
sie hatten ihr eigenes Licht, gaben aber keines von sich,"
Als ob das Hirn des Mörders durchsichtig geworden wäre,
so sehen wir in ihm all die furchtbar quälenden Visionen
und die drängende Hast sich jagender Bilder. — In ,,Bar-
naby Rudge" (1841) hat uns Dickens die Atmosphäre,
welche eine Mordstätte — den nKaninchenhag" — umwittert
, die beängstigende Traurigkeit, die dunkle Todesstille
, in grandiosen Umrissen gezeichnet. „Es schien", sagt
er, „der abgeschiedene Geist des Hauses zu sein, der in
seiner früheren Gestalt noch auf seiner alten Stelle spukte."
In demselben Romane wird ein nächtlicher Volksaufstand,
der Sturm auf das Gefängniss Newgate, geschildert. Ein
Rembrandt'sches Nachtstück! Wer es einmal gelesen hat.
vergisst es niemals, — Die folternde Gewissensangst und
die dadurch hervorgebrachte Zersetzung, Dekomponirung
des Geistes, wird bei dem Todesgange des Disponenten
Carker in „Dombey and Son" (1848) geschildert. Wie eine fixe
Idee verfolgt ihn das Bild der dahinsausenden Eisenbahn;
„ein gespenstiger, unerklärlicher, unverständlicher Schrecken"
umgiebt ihn. Mit dämonischer Gewalt ziehen ihn diese
Traumgesichte fort, wie ein Nachtwandler folgt er ihrem
faszinirenden Zauber, bis die Traumgesichte Wirklichkeit
werden und Carker unter den Rädern der Eisenbahn endet.
— Gewissensqualen, Todesfurcht und Grauen athmet der
letzte Gang des Wucherers Ralph in „Nikolas Nickelby4'
(1839) aus. Man lese das 59. bis 62. Kapitel; man lese,
wie ein finsterer Schatten um Ralph schleicht: „die Nacht
war düster und es wehte ein kalter Wind, der die eilenden
Wolken stürmisch vor sich hertrieb. Eine schwarze, düstere,
die wilde Jagd nicht theilende Masse schien ihn zu begleiten
, indem sie zögernd und drohend ihm auf dem Fuss
nachfolgte. Er schaute oft nach ihr zurück und stand mehr
als ein Mal still, um sie vorüber zu lassen; doch ging er
wieder weiter, so war sie abermals hinter ihm und zog ihn
traurig und langsam nach, gleich einem Grabgefolge." In
seinem einsamen Hause angekommen, erhängt sich Ralph.
Man muss das Alles lesen, Sm zu empfinden, wie genial der
Dichter die sich kreuzenden und doch zusammengehörigen
Bilder und Ideen eines Verzweifelnden, eines Selbstmörders
schildert, mit wie tiefen Blicken er in die Gesetze des lar-
virten Somnambulismus eingedrungen ist, wie er unbestimmte
Ahnungen und das detaillirte Vorempfinden des Todes
mit gewaltiger Feder schildert. — In dieser Schilderung
des unbewussten Seelenlebens geht Dickens weiter: bis zum
second sight. Das Leitmotiv des zweiten Gesichtes klingt
leise, aber vernehmlich durch den ganzen Roman; „Zwei
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