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98 Psychische Studien. XXX. Jalug. 2. Heft. (Februar 1903.)
standenen Jenny von Pappenheim folgendes mitgetheilt wird:
„Noch eiue Geschichte möchte icli erwähnen, die Goethe mir
selbst erzählte; er habe eine unsichtbare Bedienung, die
den Vorplatz des Gartenhauses immer rein gefegt hielt;
„es war wohJ Traum/* sagte er, „aber ganz wie Wirklichkeit
, dass ich einst in meiner oberen Schlafstube, deren
Thür nach der Treppe zu auf war, in der ersten Tagesfrühe
eine alte Frau sah, die ein junges Mädchen unterstützte
. Sie wandte sich zu mir und sagte: „Seit 25 J ahren
wohnen wir hier mit der Bedingung, vor Tagesanbruch fort
zu sein, nun ist sie ohnmächtig und ich kann nicht gehen."
Als ich genauer hmsah, war sie verschwunden." Ottilie,
auch Wolf und Walter erzählten noch oft von einem „Mittagsspuk
" in Goethe's Garten, besonders nach seinem Tode."
Wenn auch jene Erscheinung, was bezweifelt werden kann,
wirklich nur ein Traum gewesen sein sollte, so bleibt das
merkwürdigste dieser tföefA^-Erinnerung doch bestehen, die
Aeusserung nämlich, dass eine unsichtbare Bedienung den
Vorplatz des Gartenhauses immer rein gefegt habe. Diese
mysteriöse Sache steht offenbar in Zusammenhang mit dem
von Dr. Schwabe berichteten Vorkommniss (s. die Schrift
„Goethe und der Okkultismus" S. 12), sowie mit Goethe's
eigener, in den „Annalen" 1809 gemachten Aufzeichnung,
dass man in seinem Garten am Stern „gespensterhalte
Mädchen, die den Platz rein kehrten, gesehen haben wollte."
Von einem „Mittagsspuk" in Goethe'§ Stadthause ist
auch in Helene Bühlau's Novelle „Sommerseele" („Gartenlaube
" 1902, Nr. 1—3) die Kede. Die Verfasserin erklärte
mir jedoch gelegentlich eines Besuches bei ihr, dass sie
keine genauen Anhaltspunkte gehabt habe, vielmehr von
jenem Spuk (die Erscheinung einer Mädchengestalt um die
Mittagszeit) durch eine alte Dame unterrichtet worden sei,
welche die Sache aus Alma r. Goethe^ Munde erfahren haben
will. Ich würde bei solch schwankender Grundlage diesen
Mittagsspuk nicht erwähnt haben, wenn ich nicht hinterher
mit dem bestätigenden Zeugniss der Jenny v. Pappenheim
bekannt geworden wäre. -
Zu der von Goethe gegen Eckermann gemachten Aeusserung
, dass er im traumhaften Zustande in der Diagonale
des Papieres geschrieben (s. meine Goethe-SchriH S. 19), habe
ich im 10. Buch von „Aus meinem Leben" eine Parallelstelle
gefunden ? an welcher es ausserdem heisst: „In eben
diesem Sinne griff ich weit lieber zu dem Bleistift, welcher
williger die Züge hergab: denn es war mir einigemal begegnet
, dass das Schnarren und Spritzen der Feder mich
aus meinem nachtwandlerischen Dichten aufweckte, mich
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