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Kiinse Notizen.
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war er Napoleon'§ Adjutant geworden, hatte sich bei Auster-
litz ausgezeichnet, war nach der Schlacht bei Jena als erster
in Weimar eingedrungen, nach dem Tag von Esslingen
Gouverneur von Danzig geworden, hatte den Kaiser nach
Bussland begleitet — „Niemals werde ich dein Verhalten
beim Rückzug aus Moskau vergessen," sagte dieser später,
ihm um den Hals fallend, — und in den 100 Tagen die
Festung Strassburg verteidigt. Seine Memoiren sind in
einer Zeit geschrieben, in der alle Esel dem am Boden
liegenden Löwen Fusstritte versetzten; um so wohlthuender
berührt die in ihnen hervortretende Geradheit seines Charakters
, durch die sich der im Schatten des Kaisers wandelnde
wackere Soldat zur Zeit seines höchsten Euhms sich oft
genug den Mund verbrannt hatte. Er gehörte zur Partei
der verstossenen Josephine und machte kein Hehl daraus;
seine Aeusserungen wurden Napoleon hinterbracht und als
Rapp am Tag nach der Hochzeit mit Marie Luise von
Oesterreich nicht zur Cour erschien, um der neuen Kaiserin
die vorgeschriebenen drei Verbeugungen zu machen, erhielt
er sogleich Befehl nach Danzig abzureisen. Dem aus Elba
in die Tuilerien zurückgekehrten Kaiser macht Rapp den
Vorwurf des Ehrgeizes. Dieser schlägt sich aber auf den
Bauch und antwortet: „Wie? Ich ehrgeizig? Hat einer,
der so dick ist wie ich, Ehrgeiz?" Aehnliche freundliche
und joviale Aussprüche Napoleon's bringt Rapp an, wo immer
er es vermag; manchmal liest sich sein Buch wie eine Verteidigungsschrift
. Napoleon ist gut, tapfer, edel, freigebig,
dankbar und der Schmeichelei nicht zugänglich. Auch
gegen diesen Vorwurf nimmt ihn der treue Rapp in Schutz.
Er will Meinungen hören, kein Lob. Allerdings, Leute, die
nichts verstehen, fertigt er kurz und oft auch sehr witzig
ab. Kardinal Fesch, sein Onkel, will ihm eines Tages
einen Rath geben. Nach zwei Worten unterbricht ihn der
Kaiser und führt ihn an's Fenster: „Sehen Sie den Stern
dort am Himmel ?" Es ist heller Mittag, und der Kardinal
sieht natürlich keinen Stern. „Gut," antwortete darauf
Napoleon, „solange ich der einzige bin, der den Stern sieht,
werde ich thun, was mir passt." Er hat seinen Stern noch
lange nachher gesehen, der Kaiser, der da eine Art von
Polonius-Szene aufführte, und er war sich auch seines
Schicksals bewusst. Wenigstens behauptet es Rapp,
der an Napoleon in Moskau eine Zerfahrenheit und Unsicherheit
bemerkt haben will. — Dieser Auftritt erinnert
übrigens auch an Napoleon9s prophetisches (Jemüth. Vom
Prinzen Louis sagt er am 1. Oktober 1806: „O, was den
betrifft, ich prophezeie ihm, dass er in diesem Feldzuge ge-
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