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130 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 3. lieft. (März 1903.)
Blicke wie Dickens die Dinge, er schildert nicht so gewaltig
und hinreissend, seine poetische Kraft ist nicht so gross,
aber Bulwer ist stets fesselnd und stets lehrreich. Er selbst
war hochgebildet und man lernt von ihm. Es ist wahr,
seine Figuren machen oft keinen lebendigen Eindruck; sie
sind Träger bestimmter Leidenschaften, er will durch sie
etwas Bestimmtes beweisen, aber stets sehen wir ihn auf
der Suche nach seinem Moralprinzipe, stets beim Ergründen
metaphysischer Probleme. Seine gründlichen Studien — er
hat mehr als Dickens gelernt — und seine immense Belesenheit
kommen ihm dabei sehr zu Statten. Er steigt in die
dunkelsten Abgründe des menschlichen Lebens hinab, wo
„Wahrheit und Lüge sich noch ungetrennt verwirren".
(„Eugen Aram", „Paul Clifford", „Nacht und Morgena.)
„Ich habe die Uebel aufgesucht*4 — sagt Bulwer, „welche
eine jämmerliche Sittsamkeit vor uns verheimlicht, und die,
wenn man sie nicht im Geiste des praktischen Christenthums
ernsthaft durchforscht, täglich mehr und mehr die
Walle untergraben, hinter welchen die blinde Trägheit vor
dem ruhelos vordringenden Elend der Weit sich zu verstecken
glaubt." Ein ernstes Wort. Er kritisirt die landläufige
, erbarmungslose Alltagsmoral und reisst der geschminkten
Selbstsucht die Maske ab, und auf das Grab
des grossen Verbrechers William Gawtrey (in „Nacht und
Morgen41) lässt der Held {Philipp Morton) die Grabschrift
setzen: „Der Mensch sieht die That, Gott die Umstände;
richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet."
In seinem „Eugen Aram" hat uns Bulwer, nach einer
wahren Begebenheit, einen wirklich bedeutenden, psychologisch
vertieften Kriminalroman (Mord aus Liebe zur Wissenschaft
) gegeben und in seiner Utopie „Das Geschlecht der
Zukunft*' einen Idealzustand der Menschheit geschildert.
Der Dichter schildert darin ein Geschlecht, das, von der
Sintfluth vertrieben, sich in das Innere des Erdballs geflüchtet
hat und sich alle Naturkräfte durch die Entdeckung
eines Alles durchdringenden Fluidums: Vril geheissen, unterworfen
hat. Das Geschlecht heisst Vril-ya und lebt in
höchst vernunftgemässer Weise in Frieden und Eintracht.
Bulwer kanu sich nicht enthalten, dabei eine Satire unserer
heutigen politischen und sozialen Zustände zu sehreiben.
Oph-Lin sagt z. JB. ein Mal seinem Gaste: ,,Können Sie
sich denken, dass diese niedrig stehenden Koom-Posh,
nur mit elenden Waffen versehen, wie Sie sie in unserem
Alterthumsmuseum sehen können, plumpe, eiserne Rohre,
mit Salpeter geladen, — dass solche Geschöpfe mehr wie ein
Mal einem Stamm der Vril-ya, der ihnen am nächsten
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