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v. Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 163
welche gerade von den grössten Denkern und den grössten
Charakteren aller geschichtliehen Völker und Zeiten ver-
theidigt worden sind. Mithin ist es kein Wunder, dass
diese beiden Ideen sich auch fast in allen Religionen gepaart
vorfinden. Ich sage „fast", denn ausnahmsweise finden wir
wohl auch die eine ohne die andere. So giebt es Naturvölker
, welche an eine persönliche Unsterblichkeit und an
verschiedene Dämonen, nicht aber an ein höchstes Wesen
glauben. Umgekehrt kommen hier und da Menschen vor,
welche zwar die Existenz des letzteren, nicht aber die Möglichkeit
einer Unsterblichkeit annehmen. Auch einige Denker
gehören und gehörten dieser Richtung an. So wurde dieselbe
von gewissen Schriftgelehrten des alten Judenthums,
namentlich den Sadducäern vertreten. In unserem Zeitalter
gehörte der berühmte Verfasser des „Lebens Jesu", der
Hegelianer Dr. David Friedr. Strauss hierher; denn sogar in
seinem letzten, bereits materialistisch durchseuchten Werke
,.Der alte und der neue Glaube" konnte er sich doch nicht
von der Folgeiung eines vernünftigen Weltgrundes losmachen
,*) obgleich er die Unsterblichkeit des menschlichen
Geistes mit den Materialisten leugnen zu müssen glaubt.
Auch manche Bekenner der pantheistischen Richtung, des
„Absoluten", des „Unerkannten" bezw. „Unbewussten", welche
Worte im Grunde soviel wie „der alte Gott" bedeuten, beobachten
ein tiefes Schweigen gegenüber der Unsterblichkeitstheorie
.
Obgleich nun die absolute Trennung des einen vom
andern auf die Dauer vor der Vernunft nicht Stand hält,
so wollen wir uns dabei hier nicht aufhalten, sondern zunächst
der schon so oft hervorgehobenen merkwürdigen
Thatsache gedenken, dass wir kein Volk der Erde, welches
den Namen eines solchen verdient, ohne Religion finden,
und dass namentlich die Idee höherer Wesen und einer
Fortdauer nach dem Tode, wenn auch von mancherlei
phantastischen, häufig fast absurden, ja schädlichen Zierrathen
umgeben, fast überall zum Durchbruch kommt.
Oefters hat man sich bemüht, die Bedeutung dieser Thatsache
dadurch zu entkräften, dass man, namentlich in
unserer Z^it, wo die ethnographischen Forschungen blühen,
eine Reihe von Beispielen anführte, wo bei einem Volke
entweder die Gottes- oder die Unsterblichkeitsidee, oder —
in allerdings seltenen Fällen — beide zugleich fehlen. Aehn-
liches ist auch bei wild aufgewachsenen, bei blinden und
taubstummen Menschen u. dergl. konstatirt worden. Daraus
*) „Der alte und der neue Glaube", 1895, & 94—97-
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