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172 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 3. Heft. (März 1903.)
die Spannungs-Richtungen im psychischen Kraftfelde, sondern
um die freie „willkürliche" Leitung der Gedanken durch
die Willens-Richtung im spirituellen Kraftfelde der Individualität
.
Die Gedanken-Uebun g ist zwar mit der Richtung
auf äussere Vorgänge und materielle Gegenstände wirksam
durchführbar; sie veredelt aber den Charakter und den
Geist nur dann, wenn sie sich auf höhere ideale Vorstellungen
richtet. Selbstischer Mißsbrauch kann mit der Gedanken-
Beherrschung leicht getrieben werden, wenn, bei der Umsetzung
der Energie aus dem ideellen Kraftfelde in das
psychische oder materielle, dieses äusserlichere, nicht aber
jenes ideelle den Gegenstand der Spannung bestimmt, und
wenn das ideelle Kraftfeld sich dem niederem anpasst und
fügt, ihm aber seine Willens-Festigkeit und -Stärke leiht
und aufprägt.
Die Wahl der Vorstellungs - Objekte und die dem-
gemässe Spannung (Herstellung des Potentials) in dem betreffenden
Kraftfelde beruht natürlich stets auf äquivalenten
Ursachen. In diesem Sinne also ist von einem „freien
Willen" nicht zu reden. Frei erscheint der Wille nur,
insofern es dem persönlichen Vorstellungskreise bewusst
wird, dass er von dem Willen (von der Spannung) seines
eigenen ideellen oder spirituellen Vorstellungs-Kraftfeldes
beherrscht wird. . .
Von alters her wurde im Geistesleben aller höchst
entwickelten Kulturvölker die Sammlung der Gedanken
gelehrt und geübt. Allerdings geschah dies meistens in
geschlossenen Kreisen unter Priestern in den Tempeln oder
unter Eingeweihten in Mysterien. Am bekanntesten ist
wohl die Yoga-Schulung der Indier; aber in der katholischen
Kirche sind ähnliche Uebungen zum noch viel ausgiebigeren
Gebrauch gekommen. Dafür sind ein Beispiel
Ignaz Loyolah geistliche Uebungen „Wanresa" (deutsche
Ausgabe f>. Aufl., Regensburg 1890 bei Friedrich Pustet).
Aus der Litteratur der Theosophischen Gesellschaft sind
hier die Schriften von Annie Besant zu nennen: „Im Vorhofe
" (S. 45—49), „The Path of Discipleship" und „The
three Paths to Union with God" und besonders: ,,Das Denkvermögen
, seine Beherrschung, Entwickelung und richtige
Anwendung"; deutsch von Ludwig Bernhard, Berlin 1902
(C A. Schmtschke & Sohn).
Im weitern Sinne fasst man solche Uebungen in dem
Begriffe der Betrachtung (Meditation) zusammen. Doch
sind sie dreifach zu unterscheiden: sie bestehen aus der
eigentlichen Sammlung der Gedanken, der Konzen-
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