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218 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 4. Heft. (April 1903.)
Betrachten wir ferner eine andere, hochinteressante,
aber von den Materialisten entweder umgangene oder in
einer übrigens ziemlich fadenscheinigen Weise gefälschte
Thatsache. Zunächst mag hier als Beispiel folgende Aeusse-
rung Büchner'^ angeführt werden: „Gerade die hervorragendsten
und stärksten Geister, die besten Köpfe, die philosophisch
und wissenschaftlich Gebildeten sind in der Regel
am stärksten im Unglauben gewesen und sind es -noch."
(„Das künftige Leben", S. 133). Wenn der Unglauben
hier eine Verwerfung von Aberglauben und konfessionellen
dogmatischen Spielereien bedeutete, so wäre dies richtig;
jedoch ist das Wort offenbar in einem absoluten Sinne
gefasst („am stärksten"!) und bedeutet eben Dasjenige, was
Büchner selbst predigt. Zugleich pflegt er denjenigen, an
Zahl überaus geringen, mehr oder weniger namhaften
Männern, welche besagter Richtung wirklich angehörten,
das Attribut „der grosse" beizulegen, (worüber später noch
mehr!), während wir bei allen wirklich grossen
Geistern und Vorkämpfern der Menschheit
einen religiösen Hintergrund antreffen. Ueber-
denkt man die Thaten, die Werke und die Lebensschicksale
dieser heiligen Schaar, so wird einem sowohl die Wirklichkeit
als auch die Nothwendigkeit dieser Thatsache klar.
Die Meisten von ihnen wären geradezu undenkbar als das,
wofür wir sie kennen, falls man ihnen jenen ideellen Boden
unter den Füssen wegziehen wollte. Die Thätigkeit der
grössten Philosophen, Religionsstifter, Propheten, Prediger,
Glaubenshelden u. s. w. hätte ohne jene Bedingungen gar-
nicht in die Existenz treten können. Und doch hat jeder
von diesen Riesen ordnend und maassgebend auf die Geschichte
der Menschheit eingewirkt und wirkt noch; denn
wenn auch manches Zeitliche, Oertliche und Mangelhafte,
was sich an ihre Namen knüpft, später abgestreift wurde,
so bliebe doch ein unvergänglicher Kern zurück, dem keine
Zukunft ihren Werth zu nehmen im Stande ist. Oder man
bedenke, wie viel würde wohl von jenen grossen Dichtern,
Malern, Bildhauern, Baumeistern, Tonkünstlern, die unser
Herz noch nach Jahrhunderten und Jahrtausenden in höhern
Schwung versetzen, übrig bleiben, wenn man alle diejenigen
ihrer Werke, welche entweder unmittelbar religiöse Gegenstände
behandeln oder mittelbar ihre Kraft aus einem
ideellen Hintergrund schöpfen, ausscheiden wollte? Viele
andere wiederum gab es, deren Thätigkeit sich auf alltäglicheren
Gebieten bewegte, aber von denen man weiss, dass
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