Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
30. Jahrgang.1903
Seite: 227
(PDF, 181 MB)
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Seiling: Goethe und der Materialismus. 227

Weltanschauung des grössten deutschen Dichters „und
Denkers" — durch diesen Zusatz will Haeckel nicht nur
Goethe, sondern auch sich und seine Lehre ehren — gewesen
sein? .... Dass dieses Märchen in deutschen
Landen Glauben finden und überhaupt aufgetischt werden
konnte, ist ein trauriges Zeichen unserer Zeit, in welcher
das Denken beim „Volk der Denker" ein seltenes Phänomen
geworden zu sein scheint. Man hört zwar neuerdings immer
wieder behaupten, dass der Materialismus ein bereits überwundener
Standpunkt sei, wie denn auch zugegeben werden
muss, dass dem „Naturphilosophen" Ilaeckel manche wohlverdiente
Abfertigung zu Theil geworden ist. Diese Selbstbesinnung
spielt sich indessen vorerst nur in den wenig
besuchten, wissenschaftlichen Hochregionen ab, während
man in der Niederung, wo das Gros der „Aufgeklärten"
wohiit, zumeist noch daran festhält, dass die Welträthsel
nur mit Hilfe von Mikroskop, Retorte, Affenregister und
anderen Utensilien der „exakten" Naturwissenschaft gelöst
werden können: sonst hätte „Kraft und Stoff" unlängst nicht
die 20. Auflage erlebt und wären vom „Welträthsel"-Buche
nicht schon nach wenigen Wochen 10000 Exemplare abgesetzt
worden. Von einem Schwinden der verderblichen
materialistischen Denkweise bei den Massen ist jedoch erst
recht noch nichts zu spüren. Ja, unsere ganze „Kultur"
ist vom Materialismus so zerfressen, dass sogar die Rechtspflege
nicht unberührt geblieben ist. Die Verletzung des
Vermögens wird nämlich viel strenger bestraft, als die Verletzung
aller übrigen, namentlich der idealen Rechtsgüter,
wie es denn auch in den Augen der „guten Gesellschaft"
nur eine einzige Sünde, den Diebstahl, giebt, da der Wohlhabende
ihn nicht zu begehen braucht. Recht bezeichnend
ist ferner die unheimliche Zunahme der Meineide. —

Sehen wir jetzt im Einzelnen zu, wie der Materialismus
nach keiner Richtung hin aber auch nur die leiseste Berechtigung
hat, Goethe für sich zu reklamiren. Ein erstes Schib-
boleth ist die Werthschätzung des menschlichen
Geistes. Trotz der untergeordneten Bedeutung, welche
der Materialist dem Geiste zuerkennt, und trotz der bazillen-
haft-nichtigen Rolle, welche das menschliche Individuum im
Weltgetriebe angeblich spielt, schmeichelt sich der Geist
des Materialisten dennoch, die schwersten Welträthsel gelöst
zu haben. Haeckel wenigstens erklärt, dass durch seine
Auffassung der Substanz und durch die moderne Entwicklungslehre
die sieben Welträthsel du Bois-Reymond's,
welchen dieser ein ehrliches und bescheidenes Ignoramus
und in drei Fällen sogar ein Ignorabimus entgegengesetzt

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