http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0285
352 PsycMsobe Studien. XXX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1903.)
Stellungselemente auswählt und die nebensächlichen und
störenden abweist, das lässt sich beurtheilen nach dem Gewirr
von Bildern, die im Traume oder im Fieberwahn einander
drängen. Gewisse mechanische Einflüsse, wie das
Fixieren eines Lichtpunktes (ein wissenschaftlich gebildeter
Zeichner, wie Keulemans, führt als selbsterlebtes Beispiel
das Auge eines Vogels an, das eben gezeichnet werden
soll), können unsere Aufmerksamkeit von den übrigen
Sinneswahrnehmungen so abziehen, dass wir gewissermasscn
Zuschauer unserer eigenen Träume werden: so beim Kry-
stallsehen. Die übermässige Neigung zu „Tagträumen, m
denen wir uns selbst, den Ansprüchen der Wirklichkeit entzogen
, allerhand Geschichten erzählen, ist wohl der erste
Schritt zur Aufhebung dei geregelten psychischen Thätig-
keit, welche zur üxen Idee oder zu Besessenheitserschei-
nungen ausarten kann."
In Helene Smith, dem Medium des Prof. Flournoy, sehen
wir das Wiederauftauchen von Kindheitsträumen, in denen
sie sich gern in fernliegende Landschaften und Erlebnisse
versenkte. Nun drängen sich in ihren sonst normalen Zustand
Bruchstücke dieser unter die Schwelle gesunkenen
Romantik ein. Wenn sie im Laden zu ihren Kunden in
Versen spricht, so geschieht das unwillkürlich, und doch
vielleicht nicht ganz unbewusst. Die Apporte, die sie in
den Dunkelsitzungen zum Vorschein bringt, mögen automatisch
in das Zimmer eingeschmuggelt sein; das Programm
der Sitzung war unbewusst vorher aufgestellt und seine
Ausführung durch mehr oder weniger unbewusste Hand*
hingen im wachen Zustande vorbereitet. Ob man solche
Handlungen unmoralisch nennen darf, ob die Pflege medialer
Kräfte eine moralische Schädigung zur Folge haben
kann, ist eine Frage, die sich noch nicht entscheiden lässt.
Jedenfalls braucht man nicht in allen Fällen absichtlichen
Betrug vorauszusetzen — bei physikalischen Vorgängen
nicht, und noch weniger bei den sogenannten mentalen
Manifestationen. Letztere können auf einer übermässig gesteigerten
Empfänglichkeit sensitiver Personen beruhen, wodurch
ihre Reden und Handlungen unter den Einfluss des
lebenden Experimentators oder auch in der Nähe befindlicher
unbelebter Gegenstände (Arzneimittel, Magnete u.
dgl.) gerathen; oder auf Hellsehen, dessen wissenschaftliche
Erklärung (als Telepathie) Prof. W. F. Barrett versucht hat.
Im weiteren Sinne gehören dahin die Versuche mit Gedankenübertragung
durch Anwesende, die unbeabsichtigten
Vorgänge der Ahnungen und Anzeichen, endlich die
Tranceerscheinungen. Die werthvollsten Beobachtungen
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0285