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358 Payohisehe Studien. XXX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1903.)
Ferner weiss selbst die dogmatische Lehre weitverbreiteter
Religionen nichts von ewigen Höllenstrafen; namentlich
der Buddhismus, der von allen Religionen die meisten Bekenner
zählt, zeigt sich ungleich gerechter als das christliche
Dogma, indem er böse Menschen blos zu wiederholten
Malen, zur Strafe und zu ihrer Besserung, wiedergeboren
werden lässt, bis auch sie schliesslich in die Seligkeit des
Nirwana bezw. des göttlichen Friedens eingehen. Und wenn
während der letzten chinesischen Wirren gewisse Aufständische
sich darüber beklagten, dass christliche Missionäre das
Volk durch ewige Höllenstrafen schrecken, so ist diese Klage
nur gar zu berechtigt, und man sollte ernstlich daran denken,
den leider so oft geistig beschränkten und fanatischen
Pionieren der Missionen in dieser Hinsicht wie auch in
anderen Dingen grössere Vorsicht einzuschärfen.
Mit der Entwickelung des menschlichen Gemüths wird
sich auch noch einiges Andere in dem Postulat von den
letzten Dingen ändern müssen, wovon ich gleich hier einige
Erklärungen vorauszuschicken für nöthig halte. Die sich
in der Unsterblichkeitsidee Luft machende Forderung einer
Ausgleichung der im irdischen Leben erduldeten natürlichen
und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten ist nur eine Fortsetzung
desselben höchst natürlichen und
wohl berechtigten Dranges, der sich schon
im Bereiche dieses Lebens kundgiebt. Den
unverschuldeten Unbillen, die Einem von Seinesgleichen
zugefügt werden, sucht der Mensch durch menschliche Gesetze
zu begegnen, was ihm in den meisten Italien auch
gelingt. Das Leid, welches ihm von Seiten der Natur zugefügt
wird, (wohin auch das sogenannte Zufällige, Eingriffe
elementarer Ereignisse u. dergl., gehört), sucht er
durch seine fortschreitende Erkenntniss und durch zunehmende
Dienstbarmachung der Natur zu besiegen, und
auch dies gelingt ihm recht oft; ja in einer Anzahl von
Fällen macht die Natur sogar ohne seine Mitwirkung das
Uebel nicht nur gut, sondern giebt ihm noch eine Ver-
gütigung hinzu. Hierher gehören z. B. die Fälle, wo
eine chronische Krankheit durch eine andere akute Krankheit
, durch einen Fall u. dergL nach deren Ablauf geheilt
wird, oder wo sich Einer, nach überstandener fieberhafter
Krankheit, kräftiger als früher fühlt u. s. w., also alle diejenigen
Fälle, wo ein überstandener Schmerz ein demselben
entsprechendes bezw. ihn aufwiegendes Wohlgefühi im Gefolge
zu haben pflegt. Handelt es sich dabei um ein und
dasselbe Individuum, so zeigt uns die Erfahrung, dass eine
solche Lebens- und Gefühlsstatik allerdings existirt, wenn
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