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366 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1903.)
deutsche Denker" von dieser Ueberzeugung fest durchdrungen
war. Es ist in hohem Grade bewunderungswürdig,
wie Goethe den Unsterblichkeitsgedanken, mit dem er sich
offenbar sehr viel beschäftigt hat, auf so verschiedene und
stets ansprechende Weise wiedergeben konnte. Um dem
Materialismus den Laufpass zu geben and zwar auf eine
sehr unzweideutige Weise, genügt es vollkommen, nur den
einen, gegen den Kanzler v. Müller gemachten Ausspruch
anzuführen: „Es ist einem denkenden (!) Wesen durchaus
unmöglich, sich ein Nichtsein, ein Aufhören des Denkens
und Lebens zu denken, insofern trägt jeder den Beweis der
Unsterblichkeit in sich selbst und ganz unwillkürlich." Ein
strenggläubiger Materialist möchte freilich naiv genug sein,
hierauf zu erwidern, dass Goethe in diesem Punkte sicherlich
anderer Meinung geworden wäre, wenn er es erlebt
hätte, wie wir es heutzutage thatsächlich „so herrlich weit
gebracht.*1 Ilaeckel wenigstens ist der Ansicht, dass man
das „Unsterblichkeitsdogma" noch vor 60 Jahren habe entschuldigen
können, dass man aber heute in ihm einen bedauerlichen
Anachronismus sehen müsse, weil es mit den
sichersten Erfahrungssätzen der modernen Naturwissenschaft
in unlösbarem Widerspruche stehe. Wer sich über die
Grenzen des materialistisch-naturwissenschaftlichen Erkennens
klar geworden ist, wird sich hier eines herzlichen Lachens
nicht erwehren können. Zu jenen sichersten Erfahrungssätzen
gehört u. A. die in der „düsteren, mechanisch-dogmatischen
Marterkammerk< gewonnene Erkenntniss, dass der
Geist das Produkt des Gehirns sein müsse, weil jede Verletzung
eines bestimmten Gehirntheiles das Aufhören einer
bestimmten Geistesthätigkeit zur Polge habe und weil mit
der Zerstörung des Gehirnes das Denken ganz aufhöre.
„Dieser Trugschluss", sagt du Prel einmal, „ist nun aber
von ganz besonderer Bornirtheit. Man könnte ebenso gut
sagen: Jede Verletzung des telegraphischen Apparates zieht
eine bestimmte Schädigung der Depesche nach sich, und
wenn der Draht durchschnitten wird, bleibt die Depesche
ganz aus; also produzirt der Apparat die Depesche, und
es ist ein Vorurtheil, zu meinen, dass hinter dem Apparat
noch ein Telegraphenbeamter steckt". — Mit viel grösserem
Rechte könnte man umgekehrt sagen, dass der Zweifel an
der Portdauer nach dem Tode vor 60 Jahren noch entschuldbar
war, dass aber seit der durch okkulte Phänomene
herbeigeführten Begründung der Transscendental-Psychologie
die Wahrscheinlichkeit der individuellen Portdauer heute
nahezu zur Gewissheit geworden ist. —
Ebenso leicht wie mit dem Unsterblichkeits - Problem
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