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380 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1903.)
schärferer, wissenschaftlicherer und regelmässigerer Weise
organisirt. Wenn sich die Vertreter dieser „Wissenschaft"
auch zuerst in ein Geheimniss hüllten, ihre verblüffenden
Experimente am liebsten bei geschlossenen Thüren vornahmen
und die Mysterien nicht in die breite Oeffentlich-
keit gelangen Hessen, so haben sie jetzt ihre ursprünglichen
Tendenzen modifizirt. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, wie
einer der Ihrigen, Jules Bois, erklärt, die Existenz der Seele
wissenschaftlich zu beweisen. Dies gemeinsame Ziel ist aber
so ziemlich das einzige Band, das zwischen den verschiedenen
okkultistischen Gruppen besteht. Die Wege, die zu ihm
führen sollen, sind ganz verschieden. Man darf sagen, dass
die Einen zur Erkenntniss durch die Hölle gelangen wollen,
während die Anderen ihr Heil vom Himmel erwarten und
noch Andere bestrebt sind, vergessene Wissenschaften zu
neuem Leben zu erwecken oder die lebendige Wissenschaft
zu vertiefen und zu erweitern. Die Art, wie sich die verschiedenen
Okkultisten zu der Lehre von den Geistern
stellen, giebt von der Sonderbarkeit dieser Bestrebungen
und von ihrer Verschiedenartigkeit Zeugniss.
Nach der landläufigsten und ältesten Meinung muss
man die Phänomene, auf die sich die Gläubigen berufen,
und die aus spiritistischen Sitzungen bekannt sind, den
Geistern der Toten zuschreiben, die aus ihnen allein bekannten
Gründen wieder auf Erden erscheinen. Doch viele
andere, die sich zur christlichen Glaubensanschauung bekennen
, sehen in diesen Phänomenen Kundgebungen des
Satans. Es giebt sogar in Paris eine allerdings nur kleine
„satanische Gesellschaft", die die Sitten des Luziferismus
und der mittelalterlichen Magie pflegt. In diesen Versammlungen
, in denen man den Geist der Empörung, der
sich Gott widersetzte, verehrt, wird heute noch die „Schwarze
Messe" celebrirt; als Altar dient der Körper eines nackten
Weibes, und man benutzt eine schwarze Hostie, der die
Figur eines Bockes aufgedruckt ist. Diese Thatsachen sind
von J. K. Huysmam in seinem merkwürdigen Buche „Lä-
Bas" erzählt und von anderen Schriftstellern, unter anderen
von Jules Bois, der diese Doktrinen mit seiner scharfen Intelligenz
unterstützt, bestätigt worden. Diese Sataniker
thun im Grunde aber nichts weiter, als dass sie die Häresie
der Kainiten fortsetzen, die in Byzanz zu Hause waren
und Kain und Judas Ischarioth verehrten. Die Ansicht,
jede spiritistische Erscheinung würde von der Hölle hervorgebracht
, ist übrigens sehr verbreitet; es ist die Ansicht
der katholischen Kirche, die ihren Getreuen die Beschäftigung
mit dem Spiritismus verbietet.
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