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384 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 6. fleft (Juni 1903.)
der Stuhl, auf dem das Mädchen sass, ganz deutliche
Klopflaute von sich gegeben habe. Es wurde auch der
Versuch gemacht, in (Gegenwart mehrerer einwandfreier
Personen die Manifestationen des „Geistes" abends bei
heller Beleuchtung abzuwarten. Dabei musste das Mädchen
die Hände, für Jedermann sichtbar, in den Schooss legen.
Trotzdem sollen ganz intensive Kratz- und Klopflaute
hörbar gewesen sein, ja, man habe zu aller Entsetzen
furchtbares Knallen gehört, und am Kopfe des
Mädchens sei eine Hand zum Vorschein gekommen. Auch
ein Domizilwechsel des Mädchens nach Beutelsbach soll
diesem keine Ruhe verschafft haben, indem der ^Geist"
eben auch dorthin mitging und auch an letzterem Orte sein
Unwesen ebenso trieb, ja theilweise noch ärger denn zuvor;
denn in Beutelsbach soll ein Sopha, auf dem das Mädchen
mit einigen Personen sass, sich von selbst fortbewegt haben.
Das Mädchen hat nun zu Cannstatt in der bekannten Villa
Seckendorf Aufnahme gefunden, und man sieht dem
weiteren Verlauf der Dinge mit Spannung entgegen. Wie
verlautet, soll es der „Geist" an diesem neuen Aufenthaltsort
noch ärger treiben und selbst die gebetskräi'tigsten
Personen in Furcht und Schrecken jagen. Bemerkt sei
noch, dass das Mädchen in Steinenberg in die Wohnung
des Lehrers verbracht und dort einige Nächte hindurch
beobachtet wurde; und man behauptet steif und fest, die
Maidfestationen kämen nicht von dem Mädchen. — Nur
schade, dass eine sachkundige Beobachtung in dieser unter
pietistischer Aufsicht stehenden Gesundbetanstalt ausgeschlossen
erscheint.
c) Ein hübsches Beispiel von Ideenassoziation
erzählt Prof. Alf. Bittet in seinem hervorragenden
Buche „La Psychologie du raisonnement" wie folgt: Eines
Tages glaubte einer meiner Freunde, als er in Paris die
Strasse Monsieur-le-Prince hinaufging, an der Glasthüre
eines Restaurants die beiden Worte zu lesen: „Verbascum
thapsus" (Königskerze.)*) Bekanntlich ist dies der wissenschaftliche
Name einer bei uns vorkommenden Pflanze aus
der Familie der „Scrophularineae Verbasceae" (5. Kl. 1. O.
L., zwei- oder mehrjährige, meist durch Sternhaare wolligfilzige
Kräuter Europas und des Orients), die den Vulgar-
*) Diese auch in Deutschland an dürren, sandigen Bergen
häufig wildwachsende, schöne und daher auch als Zierpflanze kulti-
virte Pflanzengattung mit grossen, filzigen Blättern und gelben
Blumen zeigt eine sehr lange, dichte Aehre; ihre Blumenkronen
(Flores verbasci) sind als schleimiges, demulzireiides Mittel offizineil
anter „Biustthee* (ehedem auch die Blätter* bekannt. — Red,
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