http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0327
394 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1903.)
Gregor durch ein encyklisckes Schreiben die Absichten und
Doktrinen des „L'avenir", Gewissensfreiheit und Pressfreiheit
für unheilvoll und verabscheuenswerth erklärend. Es
sind fürchterliche Worte, welche Lammenais (der einst gesagt
: „Der Katholizismus ist mein Leben, weil er das
Leben der Menschheit ist") über Honi schrieb: „Ich reiste
nach Rom und sah die furchtbarste Kloake der Welt,
welche jemals menschliche Blicke befleckt hat. Die riesige
Abflussrinne der Tarquinier würde zu eng sein für so viel
Unrath. Dort herrscht kein anderer Gott als der Eigen-
nutz.a Nach einer augenblicklichen Unterwerfung unter
das päpstliche Machtgebot gab er 1833 die „Paroles d'un
croyant" heraus, welche 1834 unser Börne übersetzte. In
? Jahren erlebte die Schrift 111 Auflagen und wurde in
alle lebende Sprachen übersetzt. Die Wirkung dieses
hohepriesterlichen Werkes war beispiellos. Seit Bischof
Bossuefs: „Sermons et oraisons funöbres*' war nichts von
ähnlicher Reinheit und Gewalt geschrieben worden. Die
„Worte des Glaubens" sind ein Hohelied der Revolution,
ein tönender Hymnus der Freiheit und Gleichheit, beleuchtet
von den Strahlen göttlicher Liebe aus dem Herzen
,,des Sohns des Zimmermanns aus Judaea".
Als Motto über das Werk könnte man das Wort aus
seinem XXVIII. Kapitel setzen: „Die Freiheit ist das Brod,
welches die Völker im Schweisse ihres Angesichts verdienen
müssen." Im XX. Kapitel geisselt unser Autor die Scheinfreiheit
des Liberalismus, indem er sagt: „Lasst Euch von
eiteln Worten nicht täuschen. Viele werden JEuch zu überreden
suchen, dass Ihr wahrhaft frei seid, weil sie auf einem
Blatte Papier das Wort Freiheit geschrieben und es an
allen Strassen angeheftet haben. . . . Der Unterdrücker,
der sich mit dem Namen der Freiheit deckt, ist der ärgste
Unterdrücker. Er fügt zur Tyrannei die Lüge und zum
Unrecht die Entweihung: denn der Name der Freiheit ist
ein heiliger Name." Im nun folgenden Kapitel wendet er
sich gegen diejenigen, welche in so „liebevoller" Weise dem
„Volke" stets vorerzählen, es könne seine eigensten Interessen
nicht wahren, deshalb müsse es zu seinem eigenen
„Besten" beständig unter Vormundschaft gehalten werden.
„So sprechen eine Menge Heuchler, welche selbst die Angelegenheiten
des Volkes verseben wollen, um sich von den
Kräften des Volkes zu mästen. Wäre das wahr, dass das
Volk „unreif" ist, seine eigenen Interessen wahrzunehmen,
so stände es weit unter dem Vieh." Was meint der Königsberger
Weise zu dieser Ansicht, einem Volke wegen seiner
„Unreife" die Freiheit vorzuenthalten? In seiner „Religion
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0327