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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen eto. 397
katholische Ueberzeugung ist seit 10 Jahren durch das
Alter und die Erfahrung Stück für Stück zerbröckelt" und
er feiert die Julikämpfer. 1834 spricht er sogar schon von
der ,,substitution des questions sociales aux questions poli-
tiques/' — In seinen „Oden und Balladen" giebt er in
„Ronde du sabbat" einen Tanz von Spukgestalten in Art
von Goetheh Todtentanz. In den „Orientales" finden wir
Bilder, Rhythmen, Reime von exotisch-glühender Pracht,
welche bei uns Deutschen besonders Ferd. Freitigraih be-
einflusst haben. Immer mehr wandte er sich den liberalen
Ideen und dem Volke zu, und konnte in seinen „Les feuilles
d'automne" das Kind sein berühmtes „Gebet" für die Verlassenen
, Armen, Elenden, für die ganze Menschenfamilie,
nicht nur für Vater und Mutter, anstimmen lassen und mit
vollstem Rechte in seiner herrlichsten und reifsten Gedichtsammlung
(„Les Contemplations") die Worte schreiben:
.Fai dans ie livre, avec le drame, en prose, en vers
Plaidt pour les petits et pour les miserables
Suppliant les beureux et les inexorables,
«Fai r6clam£ des droits pour la femme et Fenfant,
«Fai täch£ d^clairer Fhomme en le r^chauft'ant.
J'allais criant: Science! dcriture! parole!
J'ai voulu r^sorber le bagne dans Föeole.
Wie Byron der Dichter des Weltschmerzes, ist
Hugo der Dichter des Weltmitleids, der Allerbarmung.
Er ist sich stets seiner priesterlichen Würde, welche er
niemals durch ein unreines Wort entehrt, bewusst und kraft
dieses priesterlichen Amtes geisselt er, der während des
Juli-Königthums zum „Pair de France" erhoben worden
war, den Staatsstreich „Napoleon des Kleinen" in Tönen,
„wie sie in keiner neueren Litteratur noch gehört worden
waren", wie E. Engel sagt. Er züchtigt und zermalmt den
Dezembermörder, welcher ihn dafür ins Exil schickt.
Ueber „Napoleon le Petit" schwingt er in JuvenaFscher
Weise die Geissei, aber noch mit viel grösserer sittlicher
Entrüstung. Eine der Haupttriebfedern des scheusslichen
Staatsstreiches vom 2. Dez. 1851 war auch des Präsidenten
Napoleon pekuniäre Verschuldung; dieser brauchte für sich
und seine Spiessgesellen, seine Generäle, Adjutanten und
andere bestochenen Kreaturen, Geld und wieder Geld. Mit
den 2 Millionen seiner Civilliste wusste er nicht auszukommen.
Hugo ruft dem kaiserlichen Mörder zu: „Sie werden sagen....
dass Sie eben keine andere Wahl hatten und dass Sie, statt
eines gemeinen Betrügers im Sinne des Strafgesetzbuches,
vorgezogen haben, einer der grössten Bluthunde der Geschichte
zu werden." Er giebt ein Mark und Bein er-
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