http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0332
Dankmar: Geistige und soziale Strömungen etc. 399
Steinhaufens (der Kirche), den buckligen, einäugigen, tauben
Idioten Quasimodo macht. Auch im Drama „Le roi s'amuse"
spielt der bucklige, koboldartige Zwerg Triboulet eine allerdings
menschlichere Rolle, als Hugo'% andere Diflormitäten.
Sein freilich so gewaltiger Idealismus wendet sich nur
zu oft Ausnahmsfällen zu und die Paradoxie wird bei ihm
zum Gemeinplatz. „Sein Ideal liegt in der Verbindung
des Grotesken mit dem Erhabenen, des tiefsten Lasters
mit der höchsten Seelenreinheit", sagt Julian Schmidt,
und an anderem Orte:*) »Hugo war es vorbehalten Monstrosität
zu eigentlichen Gegenständen der Poesie, zum Ideal
zu erheben." Das sind zwar scharfe, aber gewiss nicht
unberechtigte Urtheile.
Hugo war Doktrinär und eine dieser Doktrinen war
bei ihm von Anfang an: die Abschaffung der Todesstrafe.
In zwei Werken, ungezählten Briefen und Manifesten ist er
dafür eingetreten, vier Verszeilen von ihm haben dem edlen
A. Barbes das Leben gerettet, und als man in der Dezemberschlacht
(1851) Napoleon HL zu besiegen glaubte, da sprach
sich Hugo, im Falle der Gefangennehmung von „Napoleon
le petit", gegen die Todesstrafe an diesem aus, obwohl er
ihn ingrimmig hasste. Gewiss ein edler Zug!
Auf dem Gebiete des französischen Dramas ist er ein
Umwälzer und Reformator zu nennen. Das seit Boileau
sanktionirte Wörterbuch der Poesie voll Unnatur schob
er bei Seite und wählte den natürlichen Ausdruck. Sei^e
Dramen, und besonders die Vorreden dieser, richten sich
fast stets gegen die Korrektheit der Klassik. Calderon und
Schiller sind seine Vorbilder, aber er übertrumpft sie und
entrollt in seinen Dramen tragische Konflikte von ungeheurer
Wucht und Tiefe; zugleich aber springt ein Mangel an
Maasshalten und eine Freude an grellen Kontrasten und
grässlichen Gräueln in die Augen. Im allerhöchsten Sinne
des Wortes sind Hugo's Dramen von „Cromwell" **) bis zu
den „Burggrafen" Sensationsdramen, und wir möchten den
Franzosen (als Dramatiker wohlverstanden) in Etwas mit
der zerrissenen Kraftnatur eines Chr. D. Grabbe vergleichen.
Man höre nur einige paradoxe Theoreme aus den Vorreden
zu „Hernani" und „Cromwell": „Mit dem hässlichsten Gegen-
*) J. Schmidt: „Bilder aus dem geistigen Leben unserer Zeit*'
(Neue Folge) p. 2t>8 und derselbe: „Geschichte der französischen
Litteratur seit der Kevolution 1789" IL Band, 4, 330.
**) rCromwell" wurde nie aufgeführt; aber die Premiere von
„Hernani* am 25. Febr. 1830, welche mit dem Siege der Eomantik
über die Klassik endete, gehört zu den grössten Tagen der franzö
sischen Theatergeschichte.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0332