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Seiling: Zur Geschichte des Professorenthums. 407
und immer höher gesteigerte Neubegier, die Sucht nach
Abenteuern der Erkenntnis, die fortwährend anreizende
Gewalt des Neuen und Seltnen im Gegensatze zum Alten
und Langweiligen. Dazu füge man einen gewissen dialektischen
Spür- uud Spieltrieb, die jägerische Lust an
verschmitzten Fuchsgängen des Gedankens, so dass nicht
eigentlich die Wahrheit gesucht, sondern das Suchen gesucht
wird und der Hauptgenuss im listigen Herumschleichen,
Umzingeln, kunstmässigen Abtödten besteht. Nun tritt
noch der Trieb zum Widerspruch hinzu, die Persönlichkeit
will, allen anderen entgegen, sich fühlen und fühlen lassen;
der Kampf wird zur Lust und der persönliche Sieg ist das
Ziel, während der Kampf um die Wahrheit nur der Vorwand
ist. Zu einem guten Theile ist sodann dem Gelehrten
der Trieb beigemischt, gewisse „Wahrheiten" zu finden,
nämlich aus Unterthänigkeit gegen gewisse herrschende
Personen, Kasten, Meinungen, Kirchen, Regierungen, weil
er fühlt, dass er sich nützt, indem er die „Wahrheit" auf
ihre Seite bringt Weniger regelmässig, aber doch noch
häufig genug, treten am Gelehrten folgende Eigenschaften
hervor" .... Es sind dies nicht weniger als dreizehn, nicht
gerade schmeichelhafte Eigenschaften, die Nietzsche auf
sieben Seiten seiner Schritt näher erläutert. Ich kann
mich jedoch hier auf die Wiedergabe einer der Schlussbemerkungen
beschränken: „Wer zu beobachten weiss,
bemerkt, dass der Gelehrte seinem Wesen nach unfruchtbar
ist, und dass er einen gewissen natürlichen
Hass gegen dun fruchtbaren Menschen hat; weshalb sich zu
allen Zeiten die Genies und die Gelehrten befehdet haben."
Auf die Philosophieprofessoren ist Nietzsche ebenfalls
besonders schlecht zu sprechen. Im Verlaufe der genannten
Abhandlung widmet er diesen Herren mehrere Seiten umfassende
Betrachtungen, aus denen zunächst Folgendes
wiedergegeben sei: „Die Erfahrung sagt, dass, in Hinsicht
auf die grossen Philosophen von Natur, nichts ihrer Erzeugung
und Fortpflanzung so im Wege steht, als die
schlechten Philosophen von Staatswegen. Ein peinlicher
Gegenstand, nicht wahr? — bekanntlich derselbe, auf den
Schopenhauer in seiner berühmten Abhandlung über Universitätsphilosophie
zuerst die Augen gerichtet hat. Ich
komme auf diesen Gegenstand zurück: denn man muss die
Menschen zwingen, ihn ernst zu nehmen.... und jedenfalls
ist es gut, Schopenhauer's für immer gültige Sätze noch
einmal, und zwar geradewegs in Bezug auf unsre allernächsten
Zeitgenossen zu demonstriron, da ein Gutmüthiger
meinen könnte, dass seit seinen schweren Anklagen sich
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