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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen etc. 467
und „ouvrier" und er will den krassen egoistischen Individualismus
der heutigen Produktionsweise, dessen Devise
lautet: „Kampf der Menschen gegen einander" durch eine
geordnete Produktionsweise auf assoziative Art ersetzt
sehen, deren Devise lauten wird: Kampf der Menschen mit
einander gegen die Natur. Gegenwärtig leidet die Gesellschaft
,,unter der Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen"; St. Simon will aber, unter Verwerfung der sog.
„freien Konkurrenz" des Manchesterthums, Arbeit und Produktion
organisiren und sein Leitmotiv ist das berühmt gewordene
Wort: „Tous les privilöges de naissance, sans
exception, sont abolis: k chacun selon sa capacite, k chaque
capacite selon ses oeuvres." Dabei weiss er — im wohl-
thätigen Gegensatze zum heutigen Sozialismus — sehr
wohl, dass zu einer Neugestaltung des Daseins nicht nur
eine Umänderung der Staatsformen genüge, sondern dass
die Menschen selbst heranreifen und besser werden müssen.
Deshalb verschmilzt er das soziale und ethische Gebiet und
will Geist und Fleisch versöhnen *)
Wie wir ja schon (im Verlaufe von Theil D) gesehen,
beginnt ab 1830 St Simons Lehre eine geistige Macht in
Frankreich zu werden; sie durchdringt die Nationalökonomie
(Leroux, Chevalier. Buchez — der „katholische Jakobiner"); die
Geschichtsschreibung {Thierry und Michelet); die Philosophie
(Comte); die Poesie {Hugo, Sand, Sue, Lachambeaudie, der
Fabeldichter); die Kirche (Lammenais und Abbe Lacordaire.)
Simon''s direkte Schüler: Bazard und Enfantin führten, jeder
in seiner Weise, die Lehren des Meisters fori Augtiste
Comte, der Begründer des Positivismus, strebt ein Zeitalter
des Altruismus an und sein sozialer Pilichtbegriff
ähnelt sehr dem kategorischen Imperative Kanfs. Louis
Blanc ist der „erste praktische Sozialist im grossen Stiletf,
*) Saint Simon, geb. am 17. Okt. 1760, starb in Dürftigkeit am
19. Mai 1825. Er wäre beinahe Herzog geworden; später musste er
sich durch Kopistendien<ite ernähren, 1812 von Wasser und Brod
leben, 1823 machte er einen missglückten Selbstmordversuch. Seine
letzten Worte, welche er an seine Schüler richtete, waren: „Vergesset
nicht, man muss begeistert sein, um gewisse Dinge zu vollbringen.
Mein ganzes Leben fasst sich in einem Gedanken zusammen:
allen Menschen die freieste Entwicklung ihrer Anlagen
zu sichern/ Und dann bei halb verdunkeltemBewusst-
sein: es werde sich eine grosse Arbeiterpartei bilden, und endlich:
„Die Zukunft ist unser." Und er führte die Hand zum Kopfe und
seine Lippen versiegelte das ewige Schweigen. Dühring: „Kritische
Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus * V, 2, 26 >)
Von St. Simon stammt auch das geflügelte Wort: öte toi de la que
je m'y mette!", das er zur Kennzeichnung des nackten Egoismus
der besitzenden Klassen aussprach.
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