http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0404
470 Psyohisohe Studien. XXX. Jahrg. 8. Heft. (August 1903.)
Den Widerwillen gegen neue Erscheinungen hat auch
Virchow einmal verrathen, als er in seiner Schrift „lieber
Wunder" äusserte: „Man freut sich nicht, eine neue Erscheinung
zu sehen; im Gegentheil, sie ist oft peinlich."
Und Zöllner, mit dessen gravirenden Beiträgen zu vorliegendem
Thema ganze Seiten gefüllt werden könnten, hat gar
gesagt: „Zu allen Zeiten hat selbst bei den bedeutendsten
Vertretern der Wissenschaft eine bis zur pathologischen
Erregung gesteigerte Furcht vor Anerkennung neuer That-
sachen obgewaltet." Hinsichtlich der hiermit zusammenhängenden
, bei Professoren häufig vorkommenden Furcht,
sich lächerlich zu machen, hat Zöllner, beiläufig gesagt, in
seinem offenen Briefe an W. Wundt über den „Spiritismus
und die sogenannten Philosophen" sehr richtig gezeigt, dass
sie nicht nur Eitelkeit, sondern auch Mangel an Verstand
verräth.
Angesichts der notorischen Scheu der Gelehrten vor
neuen Erscheinungen war ein Zünftler vor einiger Zeit
(s. den Artikel „Der moderne Gespensterglaube'* in Wester-
manns Monatsheften4* 1898, Aug.) unverfroren genug, zu
schreiben: „Der hochmüthige Standpunkt, den noch vor
hundert Jahren z. B. die französische Akademie behauptete,
als sie es offiziell für einen Unsinn erklärte, dass aus dem
Welträume ein Stein, ein Meteorit herabfallen könne —
ein Standpunkt, der kurze Zeit darauf durch die That-
sache eines bedeutenden Meteorsteinfalls ad absurdum geführt
wurde, ist bekanntlich längst verlassen .... Darum wird
jede neue Entdeckung in der Gelehrtenwelt mit einer wahren
Begeisterung begrüsst, und ein grosser Stab von Forschern
wirft sich auf die Untersuchung der neuen Erscheinungen,
die dadurch mehr oder minder schnell zu einem vertrauten
Bestandtheil unseres Denkens werden .... An der nöthigen
Bereitwilligkeit, auf neue Erscheinungen einzugehen, fehlt
es also keineswegs, auch gegenüber den spiritistischen
Phänomenen nicht". Dieser hohlen Phrase können u. a. die
folgenden Thatsachen entgegengehalten werden:
1. Helmholtz hat es abgelehnt, sich auf eine Prüfung
des Mediums Stade einzulassen.
2. Zöllner berichtet von weiteren Ablehnungen Gelehrter,
an Sitzungen theilzunehmen.
3. Du Prel hat, wie er in seiner Schrift „Der Spiritismus
" (S. 49) bemerkt, es erlebt, dass sich Professoren geweigert
haben, der Einladung zu spiritistischen Sitzungen
Folge zu geben.
4. Preyer hat in seinem Artikel „Ueber spiritistische
Irrlehren" („Magazin für die Litteratur4, lo93, No. 40)
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0404